200 Jahre Theodor Storm

Der leidenschaftliche Verteidiger der Demokratie

Den meisten ist Theodor Storm als Dichter geläufig, gegebenenfalls kennt man noch sein letztes Werk „Der Schimmelreiter“. In Norddeutschland, vor allem in Schleswig-Holstein ist er wesentlich präsenter als im Rest des Landes, dass wohl vor allem auf seine Herkunft und sein Wirken zurückzuführen ist.

Zeit seines literarischen Schaffens, 1849 wird sein Debüt „Immensee“ veröffentlicht, rauscht er an den Vorstellungen und Vorzügen der Leser knapp vorbei, entweder nimmt er den Zeitgeist nicht in ihrem Ganzen wahr oder es ist ihm, um es salopp auszudrücken, wurscht. Wie es im einzelnen immer gewesen ist, bleibt festzuhalten, dass er seinem Geburtsort Husum, geboren wurde er am 14. September 1817, sich mehr als verpflichtet gefühlt hat, es ist seine Heimat, mit den Preußen kann er nichts anfangen, sie sind ihm suspekt. Am liebsten hätte er sich aus dem Konflikt Schleswig, Holstein versus Dänemark herausgehalten, aber er muss Stellung beziehen, man zwingt ihn förmlich dazu. Für ihn ist es ein Gräuel, dass Schleswig und Holstein unter die Obhut der Preußen gestellt werden soll, deren feudale Gesellschaftsordnung und -vorstellung widerspricht dem Demokraten Theodor Storm. Er stammt aus protestantischen bürgerlichen Verhältnissen, hat von Kindesbeinen an gelernt, seinen Verstand zu gebrauchen, sein eigener Herr zu sein. Nichts desto trotz steht er im Staatsdienst, wird später Landvogt und Amtsrichter (März 1864 – 1880) von Husum. Die Arbeit im Staatsdienst ist eine mögliche Erklärung, weshalb er weniger geläufig ist als seine Zeitgenossen wie Theodor Fontane und Eduard Mörike, zu denen er übrigens Kontakt pflegt, mit Theodor Fontane ist er befreundet. Parallel zu seiner Arbeit als Advokat verfasst er Gedichte und Novellen, dennoch bleibt ihm häufig nicht sehr viel Zeit für sein literarisches Schaffen, zuweilen frisst ihn die Arbeit auf, aber er muss seine Frau und seine sieben Kinder ernähren und so entscheidet er sich erst recht spät für die Literatur. Hierin gibt es zwischen heute und damals kaum einen Unterschied, irgendwann „muss“ man sich entscheiden, ob man seinem Beruf nachgeht oder seiner Berufung als Schriftsteller, selbst der Workaholicer Ferdinand von Schirach musste sich aus gesundheitlichen Gründen entscheiden.
In seinen Werken arbeitet er sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen ab, im Fokus stehen die sogenannten „kleinen Leute“. Aber er bezieht auch Stellung zu der Frage, inwiefern ein Arzt einem Patienten Todesmedikamente verabreichen darf. Und plötzlich ist die Aktualität da, wie aus dem Nichts, auch wir kennen die Debatte, wird sie doch seit einigen Jahren geführt. Vieles spricht dafür, vor allem dann, wenn die Lebensqualität sehr zu wünschen übrig lässt, etliches spricht dagegen, vor allem dann, wenn es eine gut ausgestattete Palliativmedizin gibt. So oder so ist es sehr erstaunlich, dass im 19. Jahrhundert ganz offensichtlich eine leidenschaftliche Diskussion darum geführt wurde. Theodor Storm ist übrigens gegen eine Hilfestellung durch Medikamente, was ihn aber nicht davon abhält, sich über einen verurteilten Verbrecher zu freuen, der Selbstmord beging.

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In seinem Spätwerk wird er zu einem Gesellschaftskritiker, in der Novelle „Im Schloß“ (1862) wird der Protagonist mit bäuerlicher Herkunft als der eigentliche freie Mensch dargestellt, er wird der Dumpfheit im Allgemeinen und der feudalen Anmaßung und dem kirchlichem Trott im Besonderen gegenüber gestellt.
Ab nun gibt es kein Halten mehr, Theodor Storm äußert sich immer deutlicher, seine antifeudale Haltung verbirgt er nicht mehr. Er gehört aber auch nicht zu den herkömmlichen Patrioten, im Gegenteil, selbst mit dem befreundeten Joseph von Eichendorff bekommt er ein Problem. Es ist ihm zuwider, dass sein Freund versucht hat, die katholische Quintessenz aus der deutschen Nationalliteratur herauszufiltern. Für ihn ist es kein Widerspruch mit der Heimat sich verbunden zu fühlen, dennoch den (dumpfen) Patriotismus abzulehnen. Hierin ist er seinen Zeitgenossen weit voraus, sein demokratisches Selbstverständnis passt nicht in jene Zeit, heutzutage würde er zum Glück damit kein Aufsehen erregen.
Eines wird bei ihm besonders deutlich: Wem es nicht schon zu Lebzeiten gelingt, in aller Munde zu sein, so wird dieser auch nach seinem Ableben eher in die Bedeutungslosigkeit verschwinden. Und noch eines: auch wenn er den damaligen Geschmack der Leser selten auf den Punkt trifft und eher knapp daran vorbeirauscht, so können wir heute eine Menge, vor allem aus seinem Spätwerk, abgewinnen, haben doch die darin geschilderten Problemlagen mehr mit uns heute zu tun, als es auf den ersten Blick scheint. In seiner letzten Novelle „Der Schimmelreiter“ wird aufgezeigt, wie sehr Mythen das Alltägliche bestimmt, wie wenig wissenschaftliche Erkenntnisse sich durchsetzen können. Inzwischen würde man wahrscheinlich die Erzählung mit zwei Mythen den Leser konfrontieren: auf der einen Seite die Mythen aus vergangener Zeit aber auch die Wissenschaftsmythen. Häufig genug müssen wir erleben, dass die Wissenschaft sich geirrt hat, zuweilen können klitzekleine Veränderungen eine verheerende Wirkung haben, andererseits erleichtern uns viele technische Errungenschaften unseren Alltag. Es ist und bleibt eine Balanceakt.

Theodor Storm ist mehr als seine Gedichte und „Der Schimmelreiter“. Obgleich er bis zuletzt, er starb am 4. Juli 1888, im stillen Kämmerchen seine Arbeit verrichtete, in keine Skandale verwickelt war, über den man nur selten im ganzen Land gesprochen hat, so ist dennoch seine Biografie wie auch seine Novellen und Erzählungen schillernd, langweilig war sein Leben nicht, dafür musste er zu oft in den sauren Apfel beißen und Entscheidungen treffen, die er ausnahmslos immer im Sinne für seine Familie getroffen hat, sich selber dabei zurücknahm. Zu Unrecht ist er mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, denn einige literarische Elemente werden von dem späteren Franz Kafka wieder aufgenommen.

– Ulrike Panther –
© read MaryRead 2017

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