Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2017: Franzobel

Wer bin Ich?

Seit man es beim Literaturfestival „PROSANOVA 17 – Festival für junge Literatur“ (08.06. – 11.06.2017) in Hildesheim gewagt hat, das Ich in den Vordergrund zu stellen, wird wieder über die Frage, inwiefern dürfen Schriftsteller in der Literatur das eigene Ich einen hohen Rang zuweisen, debattiert. Zuweilen wird es mit Egoismus gleichgesetzt, vor allem aber schwingt der Vorwurf mit, dass man mehr um sich selbst kreist anstatt sich mit den Schwierigkeiten im Miteinander, mit dem Gefälle zwischen Politik / Wirtschaft und dem „normalen“ Volk zu beschäftigen. Im Klartext: Der Autor sollte sich möglichst zurücknehmen und sich um die Belange anderer kümmern. Dabei wird übersehen, dass man derzeit mehr denn je sich mit Identität, um die Frage „Wer bin ich und wer will ich zukünftig sein?“ in großer Bandbreite thematisiert wird. Gut zu beobachten ist es vor allem in den sozialen Netzwerken, in dem sich jeder eine Identität zulegen und diese zu jederzeit ändern kann, was auch vielfach getan wird.
Franzobel bezweckt mit seinen Pseudonymen etwas ähnliches: auch ihm geht es um Identitäten, um „multiple Identitäten“ 1aa . Franzobel ist sein literarisches Pseudonym, sein künstlerisches lautet „Franz Zobl“. Zwischen 1986 und 1991 schuf er zahlreiche Gemälde, im Übergang zu seiner Schriftstellerei wurde daraus Franzobel. 1ab Sein bürgerlicher Name ist Franz Stefan Griebl, geboren am 01.03.1967 in Vöcklabruck (Oberösterreich), seit 1992 veröffentlicht er seine Prosa.
Das Ich bzw. das Subjekt zerfällt in seinen Werken, häufig ist es nicht fassbar, es zerfällt in etliche Buchstaben wie in „Hundshirn“ 1ba . Auch wenn in seinem bisherigen Œ uvre nur selten ein Subjekt zu identifizieren ist, so thematisiert er, ähnlich wie die jungen Autoren in Hildesheim, Identität. Vielleicht macht der Zerfall des Subjekts bei Franzobel das heutige Phänomen sichtbar: Immer häufiger wechseln Menschen ihre Identitäten, wollten sie gestern noch die eine oder andere sein, so wollen sie heute ein ganz anderer sein, meist wird es durch Kleidung und adaptierte Verhaltensweisen ausgedrückt. Auch in größeren Rahmen wird nach dem identitätsstiftendem gesucht, wie sonst lässt sich die Frage nach Leitkultur erklären?
In der Vergangenheit gab es Schriftsteller, die sich zahlreiche Pseudonyme zu legten, man denke nur an Kurt Schwitters oder Kurt Tucholsky. Ganz gewiss machten sie sich aus ihren unterschiedlichen Identitäten einen Gaudi, sie liebten es, den Leser an der Nase herum zu führen, aber sie waren sich ihrer eigenen Identität bewusst, spätestens seit 1933 wussten beide, dass sie sich mit dem Nationalsozialismus nicht identifizieren und gingen ins Exil.
Hingegen kann man sich heutzutage scheinbar seine Identität aussuchen, es war noch nie so einfach, ein Bild von sich zu entwerfen. Aber: Desto intensiver man ein Bild von sich entwirft, desto eher zerfällt das Ich, desto weniger weiß man, wer man wirklich ist. Man schauspielert, ohne sich dessen bewusst zu sein, man weiß nicht mehr, wo die Schauspielerei beginnt und wo das Ich existiert.
Dagegen kann der Zerfall des Subjekts bei Franzobel etwas Wohltuendes haben, weil das Nahe-Absurde offenbart, dass man zwar mit Zig-Identitäten leben kann, es aber irgendwann lächerlich wird, schlimmer noch, irgendwann weiß man nicht mehr, wer man ist, es gibt kein Ich, keine Identität mehr; nur, was ist man dann?
Mit der Erzählung „Krautflut“ gewann er 1995 den Ingeborg-Bachmann-Preis, auch hierin wird der Zerfall schon deutlich angesprochen, ebenfalls wird hierin sein Intermediales Können sichtbar. Eine vorsichtige These: Das Zulegen der vielfachen Identitäten und die Zunahme von unterschiedlichen Medien könnten zusammenhängen.
Bemerkenswert ist, dass Franzobel auf die Frage wie hoch der Wirklichkeitsgehalt in seiner Literatur sei, er damit beantwortet, dass diese sehr hoch sei (abgedruckt in „Literatur und Kritik“, Ausgabe Juli 2000). Eine ähnliche Antwort gaben auch die beiden Autoren, Arno Geiger und Kathrin Röggla, die dieselben Fragen von der österreichischen Literaturzeitschrift „Literatur und Kritik“ gestellt bekommen haben.
Seine Antwort ist deshalb bemerkenswert, da es impliziert, dass der Zerfall des Subjekts Realität ist. Auch Arno Geiger beschreibt in seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ wie der demenzkranke Vater zunehmend seine Identität verliert.

Mehr zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb :
> Bachmann-Wettbewerb 2017
> Bachmann-Preis 2016

Angesichts dessen, dass Identitätsverlust auf dem Vormarsch ist, brauchen wir Literaturfestivals und Autoren, die sich mit dem Ich, dem Subjekt, der Identität auseinandersetzen und wir brauchen auch jene, die sich mit dem Zerfall beschäftigen.

Inwiefern Franzobel in der 18. Klagenfurter Rede „Das süße Glück der Hirngerichteten“ zur Eröffnung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs den Zerfall der Identitäten zum Thema machen wird, wissen wir am Abend des 5. Juli 2017. Man kann auf jeden Fall auf seine Rede zu den 41. Tagen der deutschsprachigen Literatur sehr gespannt sein.

Andreas Wagemut –
© read MaryRead 2017

► Korsaren-Anthologie

Home > Korsaren-Anthologie > Lesestoff > Lese-Koje > Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2017: Franzobel


Einzelnachweise:

1aa , 1ab : Friedrich W. Block: Franzobel, Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, S. 2 / 74. Nlg.
1ba :
S. 3 / 60. Nlg.