Nachruf: Peter Härtling

Blick hinter die Tür

Vor ein paar Jahren war Peter Härtling für eine Lesung („Schumanns Schatten“) in unsere überschaubare Stadt eingeladen worden. Das ein solch renommierter Schriftsteller nach Siegen kommen sollte, war zwar keine Sensation aber ein Ereignis war es dennoch. Am 02.11.2013 erwartete unser hiesiges Apollo-Theater den Autor samt musikalischer Begleitung, spät nachmittags traf Christoph Soldan ein. Aber wo blieb Peter Härtling? Er konnte aus ernsthaften gesundheitlichen Gründen nicht kommen.

Wenn man über einen Menschen sagen darf, dass er ein erfülltes Leben hatte, so kann man es über Peter Härtling ganz bestimmt behaupten. Als Sohn eines Rechtsanwalts wurde er 1933 in Chemnitz geboren, 1946 floh seine Familie nach Niederösterreich. Bald darauf starb sein Vater in einem russischen Gefangenenlager, seine Mutter beging später Selbstmord. Nach seiner Schulausbildung war er als Feuilletonredakteur tätig, arbeitete von 1967 bis 1973 als Cheflektor beim S. Fischer Verlag, nahm 1965 an einer Tagung der Gruppe 47 teil, war Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; und das ist nur ein kleiner Ausschnitt seiner Aktivitäten.
Zunächst verfasste er Gedichte, er selber sah diese als seine ersten Gehversuche an. Sein Debütroman „Im Schein des Kometen“ erschien 1959, befasste sich mit den Auswirkungen des Dritten Reichs. Stück für Stück kletterte Peter Härtling die literarische Himmelsleiter hinauf, ab Ende der 1960er Jahre war er etabliert. In seinen Kinder- und Jugendbüchern verlieh er den Außenseitern eine Stimme, wie dem behindertem Kind in „Das war der Hirbel“, im Kinderbuch „Jakob hinter der blauen Tür“ beschreibt er den Jungen, der den Tod seines Vaters nicht überwinden kann und sich in Traumwelten begibt. Großeltern können trotz all ihrer Verschrobenheit eine Stütze sein, wie in „Oma“, für das er 1976 den Deutschen Jugendbuchpreis verliehen bekam oder in „Alter John“.
In seinen Büchern setzte Peter Härtling sich für eine antiautoritäre Erziehung ein, darüber hinaus engagierte er sich politisch, 1965 unterstützte er die SPD, nahm zu Beginn der 1980er Jahre an den Treffen ost- und westdeutscher Schriftsteller teil.
Sein Start ins Leben unter den Nationalsozialisten sollte ihn nachhaltig prägen, literarisch wendete er sich erneut diesem Thema im Roman „Große, kleine Schwester“ (erschien 1998) zu.

Zahlreiche humorvolle, vergnügliche und humorvolle Lesestunden schenkte uns Peter Härtling, der im Alter von 83 Jahren am 10. Juli 2017 verstarb, bot uns eine große Bandbreite Themen in sämtlichen Genres an. Er blieb nicht vor einer Tür stehen, zuckte weder gleichgültig die Achseln noch vertrat er den Standpunkt, dass diese sich selber Hilfe suchen sollten, zuschauen sollten, wie sie damit zurecht kommen, sondern ging durch sie hindurch, schaute nach, welche Tragödie sich dahinter verbarg, beschrieb sie ohne zu idealisieren, machte diese mit großem Fingerspitzengefühl zum Thema.

Als Peter Härtling nicht nach Siegen kommen konnte, musste die Lesung nicht kurzfristig abgesagt werden, sondern dankenswerter Weise übernahm Christoph Soldan neben seinen musikalischen Einschüben auch die Lesung. Jeder Besucher bedauerte es sehr, dass Peter Härtling nicht dabei sein konnte.

– Johannes Tulpen
© read MaryRead 2017

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