„Julius Cäsar“ von William Shakespeare

Tyrannenmord und ein auffälliges Datum

Das Historiendrama „ Julius Cäsar“ von William Shakespeare löst zu jederzeit kontroverse Debatten aus .

Im Theaterstück wird eine mögliche historische Begebenheit aus der Antike aufgegriffen. Der Freund und Mitarbeiter von Julius Cäsar sieht sich veranlasst, den römischen Herrscher zu ermorden. Als Julius Cäsar erkennt, was mit ihm geschehen soll, fällt im Dritten Akt, Erste Szene die berühmte Frage: „Brutus, auch du? (Original: Et tu, Brutus!)“ 1 Die Erkenntnis trifft ihn unvorbereitet, ein Schlüsselerlebnis und ab diesem Moment wird für den Zuschauer und den Lesern klar, dass es zum Tyrannenmord kommen wird, dass er geschehen muss, das Schicksal von Julius Cäsar aber auch von Marcus Brutus ist besiegelt .
William Shakespeare vollzieht im Dritten Akt die Fallhöhe. Als Vorbild dient ihm die Dramentheorie von Aristoteles bzw. Seneca. Zwischen der Antike und dem englischen Humanismus wurde die Theorie „reformiert“. Der englische Dichter setzte aber auch eigene Maßstäbe, anstelle des Boten, der den römischen Herrscher warnt, ist es seine Frau Calpurnia, die durch einen Traum auf das herannahende Ereignis hingewiesen wird und ihren Ehemann warnt .

Der englische Humanismus lässt sich in Form und Inhalt von der Antike inspirieren, und sie ist geprägt von dem Diskurs der Werte, in dem unter anderem die Frage des Tyrannenmords debattiert wird. Dem Theaterstück „Julius Cäsar“, dass um 1598/99 entstand, geht eine Vorgeschichte voraus. Seit 1579 kursiert in England das Stück „Lives of the noble Grecians and Romanes“ von Sir Thomas North, worin intensiv der Tyrannenmord beschrieben ist. Sir Thomas North zog seine Kenntnisse aus der Übersetzung Plutarchs Bioi paralleloi “, die 1579 von Abbé Amyot aus dem griechischen ins französische übersetzt wurde. Metius Plutarch hat zwar den Mord an Cäsar am 15.03.44 v.Chr. nicht persönlich miterlebt, jedoch waren Legenden und Tatsachenberichte im Umlauf, die Plutarch in seinem Werk anekdotenhaft einfließen lässt . 2

First Folio 0716

Inwiefern ein Tyrannenmord gerechtfertigt werden kann, beschäftigt bis heute die Gemüter. Dabei hat man hierzulande vor allem einen Diktator im Blick: Adolf Hitler. Es gab während des Dritten Reichs mehrere Versuche, Hitler zu beseitigen, wie Dietrich Bonhoeffer und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die von Teilen der Bevölkerung Zustimmung findet, aber es gibt auch Widerspruch. Die Gegner argumentieren, dass es sich um einen Mord handelt, der aus religiösen und moralischen Gründen nicht gerechtfertigt werden kann. Diese Auffassung – ein Mord ist ein Mord – lässt außer Acht, dass man die Morde, die von den Nationalsozialisten ausgingen, billigend in Kauf nimmt und die Frage der Mittäterschaft ausgeklammert wird .
William Shakespeare beantwortet die Frage nicht: „Der Dramatiker stellt mit Cäsar und Brutus zwei große Individuen vor den Zuschauer, zwischen denen sich ein Gegensatz zwangsläufig ergeben muß und die beide im Recht und beide im Unrecht sind, weil jeder von ihnen in einer bedingten Welt das Unbedingte zu verwirklichen suchen .“ 3


Auffällig ist das Datum, an dem Julius Cäsar von seinem engen Mitarbeiter Marcus Brutus umgebracht wird, an den Iden des März, also am 15. März, in der Mitte des Monats, dass dem römischen Gott Mars, dem Kriegsgott und dem Stammvater der Römer (er ist dem römischen Mythos nach der Vater von Remus und Romulus) gewidmet ist .
Julius Cäsar ist vor allem als römischer Feldherr bekannt, der Gallien unterwarf. Später zieht er in Rom ein und löst damit einen Bürgerkrieg aus. Nach seinem Tod folgt Augustus, den Cäsar zuvor adoptiert hatte, um seine Rechtmäßigkeit zu sichern. Die Herrschaft Augustus bescherte dem römischen Reich eine lange Friedenszeit; er ist das Gegenteil seines Großonkels Cäsar .
Der 15. März 44 v.Chr. kann demnach als Wendezeit betrachtet werden, der Kriegsgott Mars hat seinen Höhepunkt erreicht (unter Cäsar gab es die größte Ausdehnung Roms in der Historie), es folgt eine Friedenszeit, Augustus verzichtet auf autoritäre Macht; nach der Herrschaft von Augustus verfällt allmählich das Imperium .
Als Plutarch etwa 100 Jahre nach den Geschehnissen an den Iden des März über den Mord an Cäsar schreibt, hat die Schlacht im Teutoburger Wald unter Varus schon stattgefunden. Die verlorene Schlacht ist ein Zeichen (unter vielen) für den Verfall Roms und so haben es auch die Römer selbst gewertet .
Literarisch kann man den 15. März auch als einen Todesstoß gegen den Kriegsgott Mars interpretieren. Somit muss die Frage erlaubt sein, ob der Tyrannenmord an Julius Cäsar historisch tatsächlich stattgefunden hat, ob es sich nicht um einen weiteren Mythos handelt, ähnlich wie man eine Legende um den römischen Herrscher Nero in Umlauf gebracht hat. Der römische Historienschreiber Tacitus hat offensichtlich für Nero nichts übrig, wahrscheinlich, weil seine Ausübung der Macht sehr ungewöhnlich war. Einige Historiker gehen inzwischen davon aus, dass Nero nicht brutaler war als seine Amtskollegen, wahrscheinlich kein Christenmörder und auch nicht wahnsinnig war. Vielmehr scheint es Hinweise zu geben, dass er anstelle einer Kriegsführung eigenhändig ein Theater-Musik-Stück aufführen wollte. Die Reaktion der Legionäre kann man sich vorstellen: Sie waren alles andere als begeistert und setzten alles daran, dass sie ihren Krieg bekamen. Vermutlich war man über Nero so erzürnt, dass man ihm sehr früh eine unglaubliche Brutalität nachsagte und die Legende über den Wahnsinn Neros in Umlauf brachte .
Bislang wurde jedoch das Todesdatum von Julius Cäsar nicht infrage gestellt. Das irritiert .
William Shakespeare hat zur Zementierung des Tyrannenmords an den römischen Herrscher mit seinem Drama „Julius Cäsar“ unbeabsichtigt beigetragen .

Aber er lässt die Frage der Rechtfertigung eines solchen Mordes offen – ein kluger Schachzug .

– Corinna Klein
© read MaryRead

Schatztruhe


William Shakespeare: Julius Cäsar
Originaltitel: Julius Cäsar
Übersetzung aus dem Englischen: Frank Günther
zweisprachige Ausgabe : deutsch englisch
mit einem Essay und Literaturhinweis: Kurt Tetzeli von Rosador
318 Seiten
Taschenbuch
erschien: 01.09.1998
Verlag: dtv
ISBN 978-3-423-12490-4
Preis: 12,90 € (D), 13,30 € (A)


Ein Filmbeitrag über Julius Cäsar :

Quelle ( ): https://www.youtube.com/watch?v=KpK-Ylo5fyI


1 Vgl. Shakespeare: Julius Cäsar, Mit einem Essay „Zum Verständnis des Werkes“ von Ernst Th. Sehrt, Rowohlt – Hamburg 1959, S. 73
2 Ebenda, S. 156 ff.
3 Ebenda, S. 161


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