in Time: Johannes Jansen

Johannes Jansen in den Mund gelegt

Warum sehe ich die Abgründe des menschlichen Daseins immer und überall, die so tief und so dunkel sind, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Ich sehe Herrschaftsansprüche, Machtmissbrauch, Gewalt und Terror, dabei meine ich noch nicht einmal nur den Terror, der von den Islamisten ausgeht, sondern den Terror, den wir tagtäglich ernähren. Alles wollen wir günstiger und noch billiger haben, zerstören dafür die Wirtschaft auf dem afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Kontinent, um unser Luxusleben zu frönen, verkaufen Waffen in die Welt und wundern uns, dass sie auf uns gerichtet werden.
Warum kann ich nicht so leben, wie viele meiner Mitmenschen, gleichgültig über die Vorgänge in Politik und Wirtschaft, immer mit derselben Ausrede, dass man ja doch nichts daran ändern könne; kalt und herzlos gegenüber den tiefsten Nöten der meisten Weltbürger, immer mit derselben Ausrede, dass kein Platz für sie in den reichen Industrienationen sei; wegzuschauen wenn Gewalt geschieht, wenn eine Frau angegrabscht wird, immer mit derselben Ausrede, dass sie keine Chance gegenüber einer Gruppe von Menschen haben und nicht in der Lage sind, ihr Handy oder Smartphone zu zücken um die Polizei anzurufen.
Ich wurde hinter einer Mauer geboren, in dem Jahr, als die Mächtigen des Landes ein Handelsabkommen mit Österreich, Italien und den Ostblockstaaten schlossen 1 , als im westlichen Nachbarland vier Minister von der FDP zurücktraten und die erste große Koalition unter Kurt Kiesinger, der später für seine dunkle braune Vergangenheit eine Watschen bekam, geschlossen wurde, als die Amerikaner in Vietnam einen erbitterten Krieg führten, ohne das sie angegriffen worden sind, nur um ihre Macht zu zelebrieren auf Kosten tausender Menschen.
Am 6. Januar 1966 sind noch mehr Menschen unter ähnlichen Bedingungen wie ich auf die Welt gekommen, die aber nicht die Abgründe sehen, zumindest höre ich nichts davon. Da ich die Abgründe nicht begreifen kann und ich mich immerzu frage „Warum?“, schreibe ich. 1988 wurde mein erstes Buch veröffentlicht, im darauffolgendem Jahr drei weitere Bücher: „Innerhalb und außerhalb von jeher schlechterdings hoch wohl welt weit“, „Problemtext o.t.“ und „Selbstversprengtes Suchbild“.
Der „Verschleiß meiner Existenz“ schreitet voran. Auch in meinem 50. Lebensjahr gilt:

Alles was mir begegnet ist dazu angetan, mich versunken zumachen. So bin ich auf offenem Meer. Das einzige was mich hält ist die Erinnerung an jene Richtung, aus der ich gekommen bin: das Kind mit der Freude an traurigen Geschichten .“ 2 (aus: „Ich gehe eine Straße entlang“)

Ich verharre an der Schwelle eines Gebäudes, eines fragiles Gebäudes, schaue ich hinein, sehe ich den Anna-Seghers-Preis (1990), das Alfred-Döblin-Stipendium (1992), den Ingeborg-Bachmann-Preis (1996) und die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung (1997). Aber ich sehe noch etwas: Viele Buchstaben, die mal sinnig, mal wunderschön angeordnet sind. Im vergangenen Jahr wurde mein Gedichtband „Kein richtig, kein falsch. Die Masken meiner totgesagten Freunde“ veröffentlicht, indem es keinen „Platz für einen Hoffnungsfunken“ gibt, indem die „Worte zu einer Guillotine“ werden, „schneidend, bedrohlich und endgültig“, indem „geschickt mit der Typographie“ gespielt wird, dass dem Werk „eine gewisse Leichtigkeit“ verleiht, das „bitter nötig ist“. 3
Hebe ich meinen Kopf und schaue hinaus, sehe ich Nebel mit undeutlichen Konturen. Ich proste der Welt zu.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag
Johannes Jansen

– Christine Weber –
© read MaryRead

Gratulation und Memory


Johanns Jansen: k ein richtig, kein falsch
Die Masken meiner totgesagten Freunde
Gedichte
Klappenbroschur
120 Seiten
erschienen: 21.03.2015
Verlag: Ripperger & Kremers Verlag
ISBN 978-3-943999-12-9
Preis: 16,90 € (D), 17,40 € (A)


1 Vgl. Hermann Kinder, Werner Hilgemann: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Deutscher Taschenbuch Verlag – München, 2000, S. 571
2 Johannes Jansen: Ich gehe eine Straße entlang: http://www.lyrikline.org/de/gedichte/ich-gehe-eine-strasse-entlang-2882#.VqijIHlzNaJ
3 Vanessa Kölsch: Zwischen richtig und falsch ist keine Grauzone, sondern pure Hoffnungslosigkeit: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=21095

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