„Professor Unrat“ von Heinrich Mann

Aufzucht von Tyrannen

Ein weiterer Baustein für das Begreifen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildet der Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann. Professor Unrat ist in einer Kleinstadt Lehrer an einem Gymnasium für Jungen. Sein bürgerlicher Familienname ist Raat, doch aufgrund seines tyrannischen Verhaltens wird er von Schülern und Ehemaligen als „Unrat“ bezeichnet. Er kennt seinen Spitznamen und wenn er diesen Namen hört, kann er sehr ungehalten werden .

Im Roman sind fünf Handlungsträger , die das Geschehen maßgeblich beeinflussen .
Die drei Schüler – Ertzum, Kieselack und Lohmann – widersetzen sich nach Möglichkeit dem Lehrer. Lohmann ist von den drei Schülern der Intelligenteste aber auch der Rachsüchtigste .
Kieselack ist der Ungeschickteste von den dreien und beginnt aus Hilflosigkeit ein doppeltes Spiel zu treiben. Er ist den Machtbewussten nicht gewachsen, möchte aber in deren Nähe bleiben und hofft, dass ihm der Verrat weiterhelfen wird .
Ertzum ist ein Mitläufer und macht alles, was Lohmann von ihm erwartet .
In der Stadt hält sich eine Schauspielgruppe auf. Aus dieser Gruppe tritt vor allem eine Charaktere in den Vordergrund: Rosa Fröhlich. Sie wird von vielen Männern begehrt, verkörpert das neue Selbstbewusstsein der jungen Frauen und sie weiß sehr genau, welche sexuellen Reize sie auslösen kann und setzt dies sehr gezielt ein. Neben dem Selbstbewusstsein stellt sie auch das alte Bild von einem bösartigen Weib dar, die alle Männer wie Marionetten nach ihrer Nase tanzen lässt .
Lohmann gehört einer zu den Männern, der die Schauspielerin anziehend findet. Professor Unrat will sich an Lohmann rächen und er sucht ebenfalls die Nähe zu der Schauspielerin .

Zu Beginn des Romans wird vor allem der Protagonist Professor Unrat mit seinem überheblichen Verhalten, der vor Gewalt nicht zurückschreckt und die Schüler in eine Falle lockt, indem er ihnen eine fast unlösbare Aufgabe stellt, von Heinrich Mann vorgestellt. Durch die sehr drastische Schilderung über den Professor geht man zunächst von einer klaren schwarz-weißen Rollenverteilung aus: der Lehrer ist der Bösewicht und die Schüler seine Opfer. Nach und nach verändert sich dieses Bild und man gibt die klare Rollenverteilung auf. Keinen von den Charakteren möchte man zum Freund haben. Es bleibt offen, wie hoch der Einfluss des Lehrers mit seinem Verhalten auf die Schauspielerin und Lohmann ist, oder ob weitere Faktoren hinzukommen, die nicht genannt werden, die die beiden zu heimtückischen Menschen werden lässt .

Der Lehrer löst Verwirrungen aus, denn neben seinem tyrannischen Verhalten zeigt er sympathische anarchische Züge, analysiert mit scharfem Verstand und ist bereit, für die Schauspielerin alles zu opfern. Sein machtbesessenes Verhalten ist ein Ergebnis aus einer krankhaften Einstellung zum Leben: Überall wittert er Verrat und Respektlosigkeit, die er aber zum Teil selber verursacht. Er glaubt, allein an der Front des Aufrechterhaltens von Gesellschaftsstrukturen zu kämpfen, isoliert sich dadurch und liefert somit eine willkommene Angriffsfläche. Letztendlich wird der Tyrann gestürzt, doch es sind schon längst neue Tyrannen herangewachsen, die noch tückischer sind, als er selbst .

Heinrich Mann wird am 27.03.1871 in Lübeck geboren. Er ist in der Familie der Älteste. Zwischen ihm und seinem Bruder Thomas Mann ist die Beziehung kompliziert .
1894 wird sein erster Roman „In einer Familie“ veröffentlicht. Neben den Romanen veröffentlicht er Novellen, wie mit dem Band „Flöten und Dolche“, und Essays wie „Voltaire – Goethe“. Sein Gesamtwerk weist eine literarische Bandbreite und eine Vielfalt an Themen auf. Er ist ein guter Beobachter seiner Zeit, stellt die Figuren teilweise überspitzt dar und fordert eine Auseinandersetzung mit den Charakteren heraus. Ein Teil seiner Veröffentlichungen werden verfilmt, so auch der vorliegende Roman unter dem Titel „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich . 1
Viele Werke aus dieser Zeit werden heutzutage in den Kontext
des historischen Verlaufs gestellt und interpretiert. Häufig neigt man dazu, vielen Autoren eine gewisse Hellseherei zu unterstellen, so auch bei „Professor Unrat“. Man sieht in diesem Roman eine Vorwegnahme des Dritten Reichs, doch als der Roman 1905 veröffentlicht wird, konnte noch niemand die Katastrophe erahnen, auch Heinrich Mann nicht. Der Auszug aus dem „Kindlers Literatur Lexikon“ im Anhang, verfasst von Wilfried F. Schoeller, bringt den Roman bzw. Satire auf den Punkt: Es handelt sich um eine „sozialpathologische Studie
2 .
1933 werden die Werke von Heinrich Mann in Deutschland verboten. 1940 gelingt ihm zusammen mit Golo Mann , Franz Werfel und seiner Ehefrau die Flucht. Heinrich Mann lebt bis zu seinem Tod am 11.03.1950 im Exil in Kalifornien .

Durch die überspitzte Darstellung der Charakteren wird der Roman auch als Satire aufgefasst. Doch das Lachen bleibt einem im Halse stecken, denn letztendlich ist es tragisch und die Dramentheorie von Friedrich Dürrenmatt gilt auch bei diesem Roman: es ist ein Fall in die Tragödie .

– Andrea Müller –
© read MaryRead

Schatztruhe

Heinrich Mann: Professor Unrat
oder Das Ende eines Tyrannen
Roman / Satire
232 Seiten
Taschenbuch
3. Auflage: Juli 2013
Verlag: S. Fischer
ISBN 978-3-596-90352-8
Preis: 8,00 € (D), 8,30 € (A)


Der blaue Engel – Trailer – Schauspielhaus Salzburg

Quelle ( ) : https://www.youtube.com/watch?v=4LLZDqRA-is


1 http://buddenbrookhaus.de/de/286/heinrich-mann-1871-1950.html
2 Heinrich Mann: Professor Unrat, S. Fischer Verlag – Frankfurt am Main, 2013 (3), S. 230


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