Charlie Hebdo: Alles wie gehabt

Alles wie gehabt

Nach dem verheerenden Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 erschien eine Woche später, am 14.01.2015 eine neue Ausgabe von dem Satiremagazin. Diese Ausgabe hatte zunächst ein Auflagenstärke von 700.000 gehabt, doch schon nach wenigen Stunden war diese Ausgabe komplett ausverkauft. Laut Der Spiegel sollte die Ausgabe auf fünf Millionen Exemplare erhöht werden, in 16 Sprachen und in 25 Ländern erscheinen. 1 Auf die neue Ausgabe nach dem Terroranschlag fieberten förmlich viele darauf. Man könnte schon fast den Eindruck gewinnen, dass das Magazin sogar von dem Anschlag profitiert hat, wenn, ja wenn sich die Redakteure einig wären, was sie mit dem vielen Geld nun anstellen sollen. Im März 2015 berichtete Der Spiegel auf Berufung auf den britischen „Telegraph“ und der Nachrichtenagentur AFP, dass Charlie Hebdo mehr als 20 Millionen Euro eingenommen habe. Die Einnahmen stellt das Magazin vor Herausforderungen, denn die elf Redakteure würden es sehr begrüßen, wenn alle Angestellten zu gleichberechtigten Partnern werden könnten. Dagegen wäre wahrscheinlich nichts einzuwenden, wenn das Magazin nicht schon vorher Teilhabergruppen gehabt hätte: 2/5 des Magazins sind in den Händen der Eltern des toten Herausgebers, ein weiterer Teil gehört einem Cartoonisten des Magazins und 1/5 dem Manager. 2 Ein paar Monate später wird ein Artikel in Die Zeit veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Redakteure des Magazins das Geld selber als „Gift“ bezeichnen. Es wird in dem Artikel aber noch was ganz anderes deutlich: Seit dem Anschlag ist für das Satiremagazin nichts mehr wie es vorher war. Alles erinnert an den schrecklichen Tag, die Zeichner sind der Thematisierung in ihrem Magazin über den Islamismus überdrüssig. 3

Den Hinterbliebenen Redakteuren ergeht es seit dem Anschlag ähnlich wie vielen traumatisierten Menschen. Zuerst gab es eine hohe Solidarität für Charlie Hebdo, doch das war schnell verebbt, neue Nachrichten verdrängten die Sorgen und Nöte des Magazins. Inzwischen möchte so gut wie niemand mehr mit Charlie Hebdo in Verbindung gebracht werden, Türen werden geschlossen und Vorhaltungen wie „Selber Schuld“ ist inzwischen der Normalfall. 4
Dem Großteil der westeuropäischen Bevölkerung bleibt ein psychotraumatisiertes Erlebnis erspart, zum Glück. Jedoch haben diejenigen, die ein solches Erlebnis nicht erfahren mussten, wenig bis keine Einblicke darin, was ein Psychotrauma für den einzelnen bedeutet. Meistens werden einschneidende kollektive Erlebnisse verklärt: Man glaubt, dass das Kollektiv sich einiger ist wie bisher, eine Einheit darstellen, die jedem Widerstand trotzen wird, doch das Gegenteil ist der Fall: Man braucht nur einen Blick in Familien zu werfen, in denen Kinder geschlagen, eingesperrt und missbraucht werden. Den Kindern bleibt nichts anderes übrig, um ihr Überleben zu sichern, sich gegen die Geschwister zu behaupten, sie gehen mit ihren Geschwistern alles andere als zärtlich um, von Einigkeit kann keine Rede sein. Ähnliches wird auch über die Konzentrationslager im Dritten Reich berichtet: Die Gefangenen waren untereinander nur selten sich wohlgesonnen. Doch diese Berichte möchte man nicht lesen und nicht hören, die Verklärung gefällt den meisten viel besser. Und so bleiben die psychotraumatisierten Menschen nur allzu oft allein, auch die Redakteure von Charlie Hebdo müssen es zurzeit auf tragische Weise erleben.

Nicht nur, dass die Solidarität für Charlie Hebdo schon lange verebbt ist und nicht nur, dass die Redakteure mit ihrem Erlebnis des Terroranschlags zurecht kommen müssen, sondern sie müssen auch erleben, wie mit zweierlei Maß die Leser sie bewerten.
Solange es sich um Mohammed-Karikaturen handelte, konnten viele aus der westlichen Welt mit einem Lächeln, vielleicht mit einem müden Lächeln, reagieren. Nicht alle finden die Karikaturen gut, aber wenn Muslime sich darüber aufregten und aufregen, reagiert man eher mit Unverständnis, doch kaum werden WIR an unsere Nase gepackt, ist der Aufschrei groß wie die Karikatur „So nah am Ziel…“ zeigt. Am 9. September 2015 druckte Charlie Hebdo eine Zeichnung ab, auf der der tote Junge Aylin zu sehen ist und im Hintergrund eine Werbung von McDonalds. Das löste eine hohe Welle von Empörung aus, man fand es geschmacklos. 5 Es ist dasselbe Wort, was viele Muslime über die Mohammed-Karikaturen sagen. Anscheinend wollte man die Zeichnung auch nicht verstehen, denn was geschah denn, als am 3. September das Bild über den Jungen durch Zeitungen und Medien gezeigt wurde? Man zeigte das Bild und anschließend Werbung in Hochglanzformat. Der tote Junge war vergessen. Im Grunde hat sich weder an der Denkweise noch am Verhalten der Menschen sich nach dem 7. Januar etwas verändert. Es ist wie gehabt: Alles was uns nicht passt, was geschmacklos empfunden wird, löst regelmäßig Empörungen aus und das ist noch eher die harmlose Variante. Da stellen sich einem doch Fragen .
Am 5. Mai wurde Charlie Hebdo vom Schriftstellerverband PEN ausgezeichnet, doch schon im Vorfeld gab es Turbulenzen. Sechs Schriftsteller zogen, nachdem sie erfahren haben, dass Charlie Hebdo ausgezeichnet werden soll, ihre Teilnahme zurück. Auch die Auszeichnung M100 Media Award am 17. September verlief nicht völlig reibungslos, denn man war immer noch über das Bild „So nah am Ziel…“ empört. Der Laudator Ferdinand von Schirach warnte jedoch davor, Meinungsfreiheit vom persönlichen Geschmack abhängig zu machen. 6 Man kann nur hoffen, dass der Appell gehört und umgesetzt wird.

-Eva Wespe-
© read MaryRead

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1 Vgl. „Erste „Charlie Hebdo“ Ausgabe nach dem Attentat“, Der Spiegel, 14.01.2015: http://www.spiegel.de/politik/ausland/charlie-hebdo-erste-ausgabe-nach-dem-terror-a-1012861.html
2 Vgl. „Extra-Einnahmen nach Anschlag: „Charlie Hebdo“-Mitarbeiter streiten über Geld“, Der Spiegel, 21.03.2015: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/charlie-hebdo-mitarbeiter-streiten-ueber-geld-a-1024847.html

3 Vgl. „Keiner will mehr Charlie sein“, Die Zeit, 02.07.2015: http://www.zeit.de/2015/25/charlie-hebdo-streit-nach-anschlag

4 Vgl. http://www.zeit.de/2015/25/charlie-hebdo-streit-nach-anschlag
5 Vgl. „Satire darf immer noch alles“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.09.2015: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/preis-fuer-charlie-hebdo-satire-darf-immer-noch-alles-13809847.html
6 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/preis-fuer-charlie-hebdo-satire-darf-immer-noch-alles-13809847.html

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