„Die Nase des Michelangelo“ von Hugo Ball – Vierter Auftritt

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Vierter Auftritt

Von beiden Seilen drängt viel Volk herein .

STIMMEN AUS DEM VOLK .
Heil Michelangelo! Dem Torrigiano Tod !
Er ist ein Schuft! Ein Totschläger ist er! Er pökelt
Sich Kindernasen ein und ißt sie dann! Greift an!

MICHELANGELO.
Dies Haus ist meines. Auch beherbergt es den Papst.
Hinaus!

Kniefälle. Mürrisches Zurückweichen der Menge.

Wo ist Cellini?

STIMMEN.
Heil! Cellini Heil!
Der Torrigiano wars auch, der vergangnes Jahr
Den Meister überfiel nachts beim Nachhausegehn!
Dem Torrigiano Tod! Heil Michelangelo!

MICHELANGELO.
Es ehrt mich euer Ruf. Doch kommt ihr mir jetzt nicht
Zu Paß. Verlaßt darum das Haus und schweigt!

CELLINI arbeitet sich durch die Menge.
Nein, bleibt!
Bleibt alle und vernehmt von mir, wie ich den hier
Verehre, unsrer abendländischen Kunst Großmeister,
Den Schirm- und Ahnherrn kommender Jahrtausende!
Mit Namen heißt er Michelangelo. So sehr
Verehr ich ihn, daß ich – nein, habt Geduld, ich muß
Das Ganze euch erzählen.

MICHELANGELO nachdem auf einen Wink den Papstes hin die Türen geschlossen wurden.
Sprich, wo kommst du her?

CELLINI.
Von dir, Gewaltigster!

MICHELANGELO.
Wir werden drüber reden.
Sag, was du willst!

CELLINI.
Dich selbst!

MICHELANGELO.
Sonst nichts?

CELLINI.
Dich selbst, sonst nichts!
Und ich umarmte dich, verbot es nicht die Scheu.
So wunderbar führt jeder Weg zu dir zurück.

MICHELANGELO.
Solange meine Türen nicht verschlossen sind.

CELLINI.
Wozu der Spott? Noch weißt du nichts, als daß das Volk
Mit mir in die Sixtina drang. Vernimm zuerst,
Wie mir geschah! Wohl ging ich, um die Aufregung
Zu dämpfen; doch den Groll trug ich nicht minder noch
Im Herzen gegen den Verstümmler, wie zuvor.
Ich suche zu beschwichtigen. Man höhnt mich aus
Voll Ungeduld und Neugier und Soldatenhaß.
Ich rufe: »Michelangelo hat mich geschickt!«
Mit Schlägen stößt man mich zur Seite. »Drauf und dran!«,
So schrei ich denn, »ich prüft euch nur. In Dreck die Wachen!«
Doch wie man nun dein Werk vor mir entkleidete,
Vergaß ich alles, was da um mich wob und stob:
Den Torrigiano und den Nasenstreit; das Blut,
Das von mir rann; die Welt und allen Zubehör.
Mach, was du willst mit ihm; mach ihn zum Freund und setz
Ihn über mich, nur gönn mir ein vergebend Wort!

MICHELANGELO.
Ein andrer ists, der Aufruhr zu vergeben hat.
Daß du mein Werk enthülltest und die höchste Lust
Daran mir raubtest – seis drum! Was den Torrigiano
Betrifft, so geh ich dir sogar das Wort zurück,
Das du im Überschwange sprachst. Der Papst –

CELLINI sieht den Papst erst jetzt.
Der Papst?

MICHELANGELO.
Nahm sich des Streits inzwischen an und hat den Mann
In alle seine Rechte wieder eingesetzt.
Dir selber als dein Ruhestörer hat zunächst
Er Schloß und Riegel zugedacht. Hör mich zu End!
Wenn du nicht neue Torheit nun begehst, nein frisch
Dich fügst, um wie gesagt mit mir um Torrigiano
Vorm Richterstuhl zu stehn, – du freilich jetzt in Haft,
Und er als freier Mann, – so bist du mehr wie je
Mein Freund, und in der Kasematte teilen wir
Den Wasserkrug und auch die Pritsche. Sonst jedoch –
War dies mein letztes Wort zu dir.

DER PAPST.
Verhaftet ihn!

CELLINI zieht den Degen.
Wer wagt, sich mir zu nähern?

MICHELANGELO.
Ich wags und zwar so!

Schlägt ihm den Degen aus der Faust.

CELLINI.
Was widerfährt mit hier? Was hab ich Niedrieges
Getan? Ists Sünde, vor der Menschheit Höchstem so
Zu glühn, daß die Umgebung davon mitentbrennt?
Mich selber überwinde ich am End, und wie
Ichs tu, und bring mein Herz, von Schönheit ganz zerknirscht,
Als Opfergab auf offner Hand, da schlägt man es
Mir auf den Boden hin. Der Rohling, der er ist,
Soll frei sein, ich in Ketten! Nein!

MICHELANGELO.
Ich warnte dich.

CELLINI.
Mich steckt man in die Kasematte, jener soll
Beileibe nicht dem Urteilsspruch entgehn, wenn er
Auch erst dem jüngsten Richter in die Hände fällt!

DER PAPST.
Cellini Benvenuto , du gibst zu: Du hast
Das Volk, anstatt es zu zerstreuen, zur Sixtina
Geführt und am Portal die Truppen weggedrängt?

CELLINI trotzig.
Und wenn ich mich zum Haupt des Frevels machte, den
Du Aufruhr nennst, ich aber nur Begeisterung?

DER PAPST.
Du gibst auch zu, als sichs um die Durchstöberung
Der Katakomben handelte, jüngst den Krawall
Erregt zu haben?

CELLINI.
Wenn ichs einräum? wer glaubt, daß
Er in Italien dann die Verzückung, die
Vom Musendienste ausgeht, als ein Staatsvergehn
Behandeln darf?

DER PAPST.
Du kennst die Strafe, die in Rom
Nach Stadtgesetzen auf dem Aufruhr steht. Zwiefach
Bist du des Aufruhrs überführt. Beantwort mir
Ein drittes: Wenn ich dir nun als dein Oberhaupt
Gestählte Fesseln an die Hände legen ließe,
Du würdest dich mit deinem Anhang wider mich,
Das Oberhaupt, empören?

CELLINI.
Grausamkeit und Hohn!

DER PAPST.
Sags klar!

MICHELANGELO.
Entscheide!

CELLINI.
Märtyrer, ein Märtyrer
Der Freundschaft bin ich! Weil ich nimmer dulden kann,
Daß man ihm ungestraft zu nahe trat, verrät
Er seine eigne Sache und wird mir zum Feind!
Denn wahrlich: auch empören würd ich mich für ihn,
Und hier ganz Rom, das einstimmt, sagt: Er ist im Recht!

Zurufe und Johlen der Menge.

MICHELANGELO tritt zurück und zu Torrigiano.
Ich nicht! Von heut an bin ich einsamer als je!

DER PAPST indem er die Tiara an einen Kardinal gibt.
So nehm ich die Tiara ab, als wär es schon
Geschehen und geglückt.

Für sich.

Ein Bürschlein, das man, wie
Den Schmetterling , mit Daum und Zeigefinger schon
Zerdrückt, hat es gewagt, mir zu begegnen!

Zu Cellini.

Sag,
Was du nun forderst!

CELLINI zu Michelangelo.
Bleib! Du nimmst mein Leben mit!
Ich liebte dich wie eine Braut den Bräutigam,
Wenn sie zum ersten Male liebt! Du machst mich toll!
Du reißest mir die Zunge aus!

MICHELANGELO.
Es ist vorbei!

CELLINI.
Gericht!
Ich will Gericht! Wen haß ich nicht? Vernimm noch Eins,
Buonarotti! Wenn du mich nun von dir stößt,
So fall ich unterm Henkerschwert, das mir bestimmt ist,
Wie ein Stück Schlachtvieh unterm Beile fällt. Aufs Volk
Ist kein Verlaß. – Doch ehs mir so ergeht, reiß ich
Dich mit!

MICHELANGELO.
Der Satan mag dir Herz und Hirn beschneiden!

CELLINI.
Halloh, du großer Michelangelo! So sag
Mir doch: Wie kommt es denn, daß du den Torrigiano
Einmal verfolgen konntest bis aufs Blut, und nun
Ihn schonst und hegst?

MICHELANGELO.
Was kümmerts dich?

CELLINI.
Die rechte Lust
Von früher an der Grausamkeit schwand dir dahin!
Und sag mir doch, was ists, daß du den Jammermann,
Der dich verspottete, röch er erst freie Luft –

TORRIGIANO.
Das ist nichtswürdige Verleumdung!

CELLINI.
Daß du ihn,
Pietro Torrigiano , diesen Jammermann,
Nicht einmal mehr verachten konntest, als er kam?

MICHELANGELO.
Ich weiß es nicht!

CELLINI.
Ich weiß es, und ich ahnte es!
Ists das: Daß du in jenem Sagenvolk, das Mann
Und Greis zwar kennt, jedoch kein Mittelding davon,
Zu denen zählen würdest, die man vor dem Krieg
Auf einen Baum läßt klettern, um zu sehn, ob sie
Beim Schütteln noch sich droben halten können?

MICHELANGELO.
Sieh
Dich vor, daß dich mein Faustschlag nicht, den Kopf voran,
Durchs Schuhwerk unten treibt!

DER PAPST zu Cellini.
Du hast Gericht verlangt.

CELLINI.
Hei, ich bin mitten drin!

Zu Michelangelo.

Zu dir nichts mehr! Du zuckst
Ja nur noch, statt zu leben; denn mein Wort war Gift.
In stillen Stunden schleichts dich an. Ich kenne dich.

Gegen Torrigiano.

Doch nun zu dem!

DER PAPST von einem Podium herab, auf das man einen Stuhl gestellt hat.
Wohlan! Doch Eins zuvor! Wer mich
Verstand, wenn ich jetzt sprach, erhebe seinen Arm!
Ich stehe nicht aus freier Selbstverfügung hier,
Vielmehr gezwungen durch revoltenhaft Benehmen
Des Edelmanns Cellini. Ich bezähmte mich,
Weil ich den offenen Skandal mir ins Gesicht
Hinein um eine Sache, die dem Tollhaus eher
Als der Vernunft entsprang, des eignen Ansehns wegen,
Und auch dem Staat zulieb verhüten mußte. ’s ist
Ein Bruch geschehn. Bei meinem Stab: Ich werde ihn
Verkitten. Wann, womit und wie, das hört ihr noch.

Pause. Cellini erbleicht. Alle, außer ihm, seinem Anhang und Torrigiano erheben den Arm.

Der Papst ist abgesetzt. Zugleich jedoch verlangt
Man, daß ich Richter sei als Papst. Man sieht: es soll
Ein Zwischenzustand sein. Wohlan! Was gibt es nun?
Ich schwöre, daß ich soll und will nach peinlichem
Verhör urteilen, wie Gewissen es und Recht
Verlangen. Schöffe ist mein Kardinalgefolge
Und Auditorium ganz Rom.

Er setzt sich.

CELLINI.
So sprech ich denn!
Ich hier, Cellini Benvenuto , Edelmann,
Geh einem höchsten Richteramte gegen einen
Gewissen Peter Torrigiano zu bedenken
Und zu verfolgen: Daß ich doppelten Verbrechens
Der Gotteslästrung ihn beschuldige: daß ich
Dasselbe Hochgericht ersuche, ihn darnach
Zu fragen, für den Fall der Überführung aber
Die Strafe ihm erwarte, die ich selbst verwirkt,
Wenn ich ihn fälschlich nur der Gotteslästerung
Bezichtigte. Ich bin bereit, das Nähere –

DER PAPST zu Torrigiano.
Der Torrigiano trete vor! Wie heißest du?
Gib auch Gewerbe, Alter und die Herkunft an!

TORRIGIANO.
Pietro Torrigiano heiße ich und bin
Bildhauer von Beruf. Nach meinem Alter muß
Man mich nicht fragen; denn das Rechnen kann ich nicht,
Und das Gedächtnis hat gelitten. Doch das weiß
Ich noch, daß meine Wiege auch die Krone trug
Und nicht zuletzt: Ich bin ein Florentiner.

DER PAPST.
Du
Bist peinlich angeklagt.

TORRIGIANO.
Ich bin bereit, mich zu
Verantworten.

MICHELANGELO.
Wenns not tut, so verteidige
Ich ihn.

DER PAPST.
Von mir aus ists erlaubt. Er ist ja nicht
Mehr vogelfrei. Er steht als römischer Bürger hier.

CELLINI.
Auch mir ists einerlei. Formalitäten weg!
Fürs Erste hat besagter Torrigiano sich
Als Rohling an dem Künstler Michelangelo
Buonarotti, den der Papst aus eigenem
Verkehre kennt, vergangen, und fürs Zweite hat
Er ein Marienbild in Spanien geschändet.
Er wird sich schwerlich unterfangen, seine Schuld
Mir abzuleugnen.

TORRIGIANO.
Um Gehör! Es würde sonst
Durch ein Versäumnis meinerseits das Rechtsverfahrn
Gefährdet. Ich besitze einen Schutzbrief,

Er zieht ihn hervor.

den
Mir Englands König gab, als ich vor Monaten
Hierher mich wandte.

MICHELANGELO greift darnach.
Diesen Brief – –

TORRIGIANO.
Zerreiße ich!

Aufsehen.

DER PAPST.
Das gibt zu denken,

Zu Cellini.

Doch fahr fort! Zu welcher Zeit
Verübte er, weß du ihn schuldig hältst? Sodann:
Was hat ein roh Vergehn an einem Malersmann
Mit Gotteslästerung zu tun? Mir scheint, du bringst
Uns nur verwirrtes Zeug hier vor.

CELLINI.
Was kümmert mich
Die Zeit ! Obs sieben oder siebzig Jahre sind,
Seitdem geschah, was hier verurteilt werden muß,
Ist gänzlich einerlei.

DER PAPST.
Gut! Du willst sagen, daß
Das Außerordentliche nicht verjährt. Wie stehts
Nun mit der ersten Lästerung?

CELLINI.
Man überführ
Ihn erst der zweiten! Flieht er doch schon seit dem Tod
Des Cäsar Borgia vorm Gericht! In Spanien
Hat er ein Marmorbild Mariens, an der Wand
Zerschmissen, daß die Stücke sprühten, und verrucht
Die Stücke noch zu Staub zertreten, sage ich.
Die Zeugen –

Zwei Männer in fremder Tracht treten vor.

DER PAPST zu Torrigiano.
Antwort!

TORRIGIANO.
Es bedarf der Zeugen nicht!
Ich habs getan, doch wars mein eigen Werk. Man bot
Mir einen Schandpreis, weil ich Flüchtling war, und ich
Zerschlugs.

MICHELANGELO.
Ich kanns bestätigen. Auch hätt ichs selbst
Getan.

DER PAPST.
Gleichviel! Man nahm ein Ärgernis daran,
Der Mann beweists. Die Frage drängt sich vor, wieweit
Und ob man vom Beklagten sich der Ketzerei
Versehen muß!

Sieht sich nach den Schöffen um, die nicken.

MICHELANGELO halb für sich.
Jetzt, Torrigiano, ists um dich
Geschehn.

DER PAPST fortfahrend.
Da mein ich denn, ist es von Wichtigkeit,
Daß jener Schutzbrief, den er vorhin noch zerriß,
Von einem Ketzerkönig stammte.

MICHELANGELO nur halb unterdrückt.
Heuchelei!

DER PAPST.
Ich komme auf die Muttergottesschändung noch
Zurück! Jetzt zu der andern Freveltat,

Zu Cellini.

Wie machst
Du sie plausibel? Wie und wo ward sie verübt?

CELLINI.
Zuerst das Letztere. Die Tat als solche ist
Mein Haupt- und Kardinalpunkt der Beschuldigung.
Sie ist bekannt von einem Pol zum anderen.
Daß ich es bin, den das Geschick erkoren hat,
Im Angesichte einer ganz verrohten Zeit
Hier vor dem Papst nichts weniger als Blutesbuße
Durchs Rad dafür zu fordern, darauf bin ich stolz;
Wenns mich auch schmerzen muß, so lächerlich verkehrt
Gerade den, um dessentwillen ich hier stehe,
Auf seilen seines Feindes als Verteidiger
Zu sehn. Doch habt Geduld und ich erklär es euch. –
Derselbe Torrigiano, der sich später auch
Am Muttergottesbild vergriff, hat zu Florenz ,
Das Werkzeug war die Faust, dem Michelangelo
Buonarotti so das Nasenbein zerschlagen,
Wie man zum Trum entstellt, es heut noch sehen kann.

Man drängt sich neugierig hinzu.

DER PAPST.
Wenns ans Zertrümmern geht, dann scheinst du groß zu sein!

MICHELANGELO.
Verfluchtes Pack!

CELLINI.
Wie das mit Gotteslästerung
Zusammenhängt?

DER PAPST.
Du hast schon Recht, mein Sohn; denn ich
Errate dich!

CELLINI.
Muß ich das Fundament aufgraben,
Das uns zusammenhält? Der Papst ist, denke ich,
Der Stellvertreter Gottes; sein Gesetz die Kirche,
Die Sitte uns und Recht bedeutet, Ordnung und
Vernunft.

DER PAPST tückisch.
Was du da sagst, ist tief gedacht, doch sprich
Nur zu!

CELLINI.
Wer leugnet nun, daß eine Kunst, die längst
Der Papst in seinen Dienst gestellt hat, unfehlbar
Auch dessen würdig war, somit ihr Schöpfer aber
Als eine heilige Person dastand? Ich weiß,
Er wills nicht sein. Drum eben sieht man ihn statt hier
Beim Gegner stehen.

DER PAPST.
Daß man auch in diesem Fall
Nach Gotteslästrung untersuchen muß, steht fest.
Nun kommts auch hier auf die Gesinnung an, in der
Er handelte. Es ist ein Unterschied, ob er
Dabei als Wüstling oder Ketzer sich entpuppt.

MICHELANGELO.
Was jetzt hier vorgeht, ist so unerhört, als wenn
Ein Faun mit der Gerechtigkeit in Beischlaf läg!

DER PAPST zu Torrigiano.
Zunächst: Hast dus getan?

MICHELANGELO.
Ja wohl. Er hats getan.

DER PAPST.
Ihn fragte ich. Sprich selbst!

TORRIGIANO.
Wozu! Was solls? Ich soll
Hier nicht gerichtet, hingerichtet soll ich werden.
Was änderts da, wenn ich mich wehre? Schwiege ich,
So säh es aber wie ein Zugeständnis aus.
Ich will es euch gestehn, worin ich schuldig bin!
Ich kam nach Rom, nicht um zu leben, sondern um
Zu sterben. Ich wars, den nach Abrechnung verlangte,
Abrechnung mit euch allen, wie ihr auch hier steht.
Doch, hatte ich mein Recht erlangt, so wollt ich selbst
Mich töten. So Stands fest bei mir, noch hier in Rom.
Ich war verhetzt und müde, krank von Lebensneid;
Statt eines Herzens spürt ich einen Ziegel in
Der Brust, und Lumpen hüllten einen siechen Leib.
Mir ziemte nur der Tod, Und das ist nun die Schuld,
Von der ich sprach: Daß ich, als Michelangelo
Mir neue Lebenshoffnung weckte, als der Papst
Mir seinen Bann abnahm, mich doch verführen ließ,
Mein mir gegebnes Wort für nichts zu achten, um
Mit frommer Selbsttäuschung mich drüberwegzusetzen.
So kams, daß ich nun euer Angeklagter bin,
Als ob zu Recht bestünde, daß man mich verfolgt.
Da raffe ich mich mit dem letzten Rest von Kraft,
Und wärs nur so viel, als den Toten, wie man sagt,
Die Nägel und das Haar noch etwas weitertreibt,
Zusammen, und schreis noch einmal hinaus: mir soll
Ein lebenslänglich Unrecht widerfahren sein.
Mich riß man wie ein Unkraut aus der Welt heraus.
Mich will man nun, trotzdem mir Michelangelo
Vergab, trotzdem der Papst den Streit für lachhaft hielt,
Und mich restituierte in mein Bürgerrecht,
Auch noch zertreten, weil man fürchtet, daß ich mir
Mit einem Weibe oder Steine einen Sohn
Noch zeugen möchte, der den Namen weiterträgt.
Ja, ich zerschlug einmal dem Michelangelo
Den Nasenknorpel , daß sein Antlitz Krüppel ward.
Doch führt ich jenen Hieb nur, weil man meinen Fleiß
Verspottete. So ists, und so war ich gesinnt.
Von einer Gotteslästrung kann schon deshalb nicht
Die Rede sein, weil Michelangelo damals
Noch erst ein Knabe war. – Der Künstler selbst bezeugt
Das eine wie das andere.

MICHELANGELO.
Nehmt euch in Acht
Und pfuscht mir nicht! Ich sage mehr: Er hat gebüßt
Wie keiner noch für einen Knabenstreich. Mehr war
Das nicht, was zu Florenz geschah. Ich selbst, indem
Ich ihn verfolgte, bauschte unsern Zwist erst auf.

DER PAPST.
Cellini, wirst du dich verteidigen?

Indem er auf einen Schöffen zeigt.

Dem dünkt,
Daß Michelangelo damals noch Knabe war,
Das werfe die Bezichtigung ins Nichts zusammen.

MICHELANGELO.
Das ist hier ein Verfahren, wies die Wilden pflegen,
Wenn Kläger und wenn Richter sich verschwägert sind.
Wer hat da noch Geduld?

DER PAPST zu Michelangelo.
Die Unterbrechung ist
Mir stark zuwider,

Zu Cellini.

Sprich nur zu, mein Sohn!
Wie wirst
Du dich verteidigen? Du weißt, wenn dirs nicht glückt,
Ists um dich selbst geschehn.

CELLINI.
Verteidigen? Dahin
Müßts kommen; daß die Welt vollkommen auf den Kopf
Zu stehen käm! Ich, der in jenem Geisterdom,
Darin der Mensch vorm Menschen bebt, und doch ihn liebt,
Euch bis zur Spitze führte, müßte nun erleben,
Daß man mich droben hinterrücks herunterstürzt,
Weil einen ich verfolge, dem ihr Schutz gewährt
Und der an meinem Heiligtume sich vergriff.
Der Ehrfurcht hab ich Michelangelo geopfert.
Der Ehrfurcht gab ich meinen eignen Leib dahin.
Denn für die Ehrfurcht macht ich Aufruhr, wie mans nannte.
Wer darf mir sagen, daß es nur ein Hirngespinst,
Wenn ich der Ehrfurcht Priester und Prophet mich nenne?

MICHELANGELO.
Was sagt er da?

TORRIGIANO.
Es schwindelt ihm! Es schwindelt ihm!

DER PAPST indem er aufsteht.
Du wirst wohl an dir selber irr?

Plötzlich.

Wer hilft ihm jetzt?

Murren und Unruhe, bis Cellini weiterspricht.

CELLINI.
In was für eine Welt schau ich hinein! Was hat
Das Leben noch für einen Sinn für mich, was gilt
Mir noch des Torrigiano Tod, wenn das, was man
Die Scheu nennt, nichts mehr gilt? Ein Stich durch meine Brust,
Und Frechheit und Gemeinheit fallen sich ans Herz.
Nein! Dreimal nein. Sieht auch die Gegenwart an mir
Vorbei, die Zukunft, wenn sie zu zerfallen droht,
Erinnert sich an meine Unerbittlichkeit!

DER PAPST.
Des Jünglings Heroismus scheint mir echt zu sein.

CELLINI.
Sagt Torrigiano nicht, daß Michelangelo
Ein Kind noch war, als er ihn traf? Und sagt er nicht,
Er hab ihm seinen Spott nur heimgezahlt? Was floh
Er dann vor dem Lorenzo Medici , wenn er
Die Schwere des Verbrechens nicht ermaß? Was nahm
Er Kriegsdienst bei Cesare Borgia, wenn er nicht
Als Schlächter sich erschien? Was trieb nach Spanien
Ihn hin, wenn nicht der allgemeine Haß auf ihn,
Der zwar nicht frägt »Warum?«, doch immer richtig fühlt?
Wer ist denn noch so tief verrottet, daß er sich
In Deutschland Henker schelten läßt und Schindersmann?
Wer ist kein Ketzer, den der König Englands schützt?
Und nicht von frechestem Gemüt, daß er es wagt,
Trotz alledem nach Rom um Wiedereinsetzung
Zu kommen? Wiederholt: Das Rad hat er verdient!

Tumult.

TORRIGIANO.
Der Streit ist aus! Ich geb ihn auf!

MICHELANGELO schiebt ihn beiseite.
Du bist ein Laffe!
Der Streit, beginnt! Denn ich behaupte, daß ein Mann
Hier steht, in dem ein wunderbarer Geist sich bricht
Wie im Kristall der Sonnenstrahl, und daß für Recht
Ein Mord an ihm geschäh, wenn er verurteilt würde.
Was man als angeborne Skrupellosigkeit
An ihm verdammt, das stellt sich anders dar, wenn man
Den Torrigiano schon gekannt hat in Florenz.
Jähzornig war er, daß er mit der Staffelei
Nach Fliegen in die Luft schlug, wenn sie ihn umschwirrten.
Ein Bube war er nicht. Habt erst Respekt vor ihm,
Der so mit jeder Kreatur empfand, daß er
Ein halb verfaultes Bettlerscheusal noch ertrug;
Der so in stolzerhobner Art beschaffen war,
Daß er sich einmal einen Dienst von mir verbat,
Weil ihm der Dank dafür zu hoch zu stehen komme.
Ich ward für tot hinweggetragen. Darum mußt
Er fliehen. Ich verfolgte ihn von Ort zu Ort.
Drum war er, wo man in der Menschheit Bodensatz
Ihn findet, stets hineingezwungen. Wenn der Mann
Nach einem halben Menschenalter Höllenfahrt
Die Kraft noch findet, vor uns hinzutreten, so
Beweists nur eines: Daß ein Drang nach Wahrheit und
Nach Echtheit seines Unglücks in ihm flammte, wie
Er nimmer in verrottetem Gemüte sich
Entzünden wird.

CELLINI.
Da seht ihr Michelangelo!

DER PAPST setzt sich.

MICHELANGELO.
Nun Papst? Heraus den Spruch! Was wiegst du lang das Haupt?
Was gibts noch zu bedenken? Der Prozeß ist klar!

DER PAPST.
Der Spruch, der Spruch, er fällt mir immer leicht!

Zu Michelangelo.

Du sagst,
Wir haben es mit einem neuen Heiligen
Zu tun. Er nennt ihn alles Göttlichen Erzfeind
Aus wüstem Ehrfurchtsmangel, der die Welt zerstört.
Du gehst soweit, daß du ihn selbst verteidigst, ob
Er gleich an dir zumeist gefrevelt haben soll.
Er geht noch weiter, revoltiert und opfert sich.
Der Guelf beweist, der Ghibellin beweist, und doch
Kann nur ein Urteil fallen. Ja, der Mensch ist schwach!
Tritt ein Dilemma nur an ihn heran, ists schon
Um ihn geschehn. Die heilige Inquisition
Säh klarer in die Dinge, denn in ihr trat stets
Ein ganz besondrer Geist des Lichts zutag; doch sie
Ward nur für Ketzer eingesetzt, und Ketzerei
Kommt hier nicht in Betracht. Dies eine wenigstens
Steht fest!

MICHELANGELO.
Ihr Römer, euer Papst, er heuchelt nur!
Er fürchtet, wenn er Torrigiano freispricht, seis
Um seinen Thron geschehn. Man kennt die alte Furcht.
Doch nicht ein Potentatenschicksal gilts, es gilt
Ein ehrliches Gericht. Der Papst hats zu vollziehn
Im Namen aller, denen Wohl und Weh der Stadt
Auch über einen momentanen Streit hinaus
Am Herzen liegt. Ich denke, darin stimmen die
Parteien überein. Vollzieht ers nicht, so mag
Er auch den wüsten Knäul der Nachgeburt, die auf
Sein Unrecht folgt, vertreten, bis sich schließlich zeigt,
Daß man in Rom den höchsten Stuhl nicht länger dem
Vertraut, der Bürgersleute, die nicht schuldig sind,
Der eignen Selbstbehauptung wegen opfern muß.

DER PAPST.
Buonarotti hüte seine Zunge mehr!
Er hat die Rechte des Verteidigers, doch nicht
Das Recht, den Richter zu verleumden ohne Grund.
In Rom ist jetzt der Edelmann Cellini Herr,
Solange der Prozeß noch währt, und wer da wagt,
Cellinis Diener hämisch anzugreifen, muß
Gewärtigen, daß dieser sich bei seinem Herrn
Und gegenwärtigen Oberhaupt Genugtuung
Verschafft. Noch ists nicht soweit, daß die Anarchie
In Rom die alte Wolfsstadt auferstehen ließ.

Den Faden wieder aufnehmend.

Ein Ketzer also ist der Torrigiano nicht.
Doch die Verbrennung war ihm auch nicht zuverlangt.
Hat er nun Gott gelästert und verdient, daß man
Ihm auf dem Rade das Gebein zerschlägt?

MICHELANGELO sich abwendend.
Da bleibt
Nichts übrig, als der Meisel und der Hammer!

Bearbeitet einen hohen Marmorblock, daß die Stücke fliegen.

TORRIGIANO UND CELLINI zugleich.
Sags!

DER PAPST nachdem er sich nach den Schöffen umsah.
Der Schöffe schweigt. Ich denke hin und denke her.
In unsrer Frage nach des Torrigiano Schuld
Erübrigt uns nur eins. Es soll entschieden sein,
So oder so. Cellinis Ungeduld verlangts.
Doch zur Entscheidung zeigt das Werkzeug sich zu stumpf.
Was tat man wohl zu frührer Zeit in solchem Fall?
Man wandte sich zur höhern Macht hinauf, die dann
Mit einem Griff hienieden alles ordnete.
Wenn man den heutigen Tag zurückbetrachtet, lag
Das Ziel ja ungeahnt nur halb verhüllt, das ich
Jetzt so gestalte: Hält sich Torrigiano selbst
Für schuldig oder nicht? Mit einem Worte:

TORRIGIANO will sprechen, schweigt.

MICHELANGELO der wieder herbeigekommen ist.
Nein!

DER PAPST.
So sage ich ihm denn: Bei dem, der jeden Puls
In der geheimsten Brust durchschaut: Wie du dich selbst
Gebahrst, ob ungebändigt, oder demutsvoll,
Wenn du vernimmst, daß wir dem Schöpfer hier den Spruch
Vertraun: Das erstre gilt dir Tod, das andre Leben!
Denn wir betrachten es als Urteil Gottes.

CELLINI.
Wohl!

TORRIGIANO springt in die Mitte vor, über dem Haupt den Degen schwingend.
Der Gipfel der Verrücktheit ist erreicht! Die Welt
Bricht auseinander. Schlagt sie ganz ins Nichts hinein!

Großer Tumult.

DER PAPST richtet sich hoch auf.
Er ist vom höchsten Finger angerührt! Er tobt!
Er tobt! Wer ihn nicht fesselt, werfe sich aufs Knie
Und bete an!

MICHELANGELO verhüllt sich die Augen.
Sie reißen ihn –

CELLINI unerbittlich.
Zu Boden! So
Ists recht!

Torrigiano fällt, während er sich durchsticht, mit einem Knäul von Männern zu Boden. Alle andern, außer Cellini und Michelangelo knien.

DER PAPST indem man ihm die Tiara aufsetzt.
Der Nasenstreit ist aus! Die Krone her!

Vorhang.

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