„Der Weg des Falken“ von Jamil Ahmad

Foto: © Simone Jawor

Allein im Grenzgebiet

Der pakistanische Schriftsteller Jamil Ahmad erzählt in seinem Roman „Der Weg des Falken“ die Geschichte seines Landes. Immer wieder gerät man beim Lesen ins Staunen: einerseits verwendet der ehemalige Staatsbeamte eine wunderschöne Prosa, andererseits geht er sehr kritisch mit seinen Landsleuten um. Man horcht auf: Kritik in Pakistan ?

Seit dem „berühmten“ 11. September 2001 bekommen wir durch unsere Medien fast ausschließlich immer nur mit, dass kritische Äußerungen in diesem Staat nicht möglich sind, hauptsächlich scheinen die muslimischen Fundamentalisten zu herrschen, doch Jamil Ahmad zeichnet ein ganz anderes Bild: Der Falke ist ein elternloser Junge, der durch die Lande streift und von einem Mann aufgenommen wird. Der Leser erfährt, auf welche brutale Weise dieser Junge seine Eltern verloren hat. Zunächst fühlt man sich in seinem vermeintlichen Wissen über dieses Land bestätigt, doch dann rollt der Schriftsteller auf märchenhafte Weise die Geschichte dieses Landes auf, ohne den Anspruch eines historischen Romans zu haben .
Teilweise wird man an die Erzählungen von „Tausend und einer Nacht“ erinnert, dann wieder an Sozialkritik. Dabei verliert der Autor nie den roten Faden und erzählt auf orientalische Art, welche Gruppierungen in ihren Anschauungen und Traditionen gegenüber stehen, vor welchen Herausforderungen sie tagtäglich stehen, wie Durst und vor allem Hunger, zumindest in den Bergen. Dabei macht er eine kleine denkwürdige Anmerkung :

„Je ärmer in diesen Gebirgsgegenden eine Familie war, desto hochtrabendere Namen gab sie ihren Kindern . 1

Als Indien einen Teil seines Gebietes abgeben musste und Pakistan gegründet wurde, hat man die Lebensweise der Menschen nicht bedacht, man hat ihnen einen Staat aufgedrängt, der von vielen nicht gewollt war. Sie wurden teilweise durch die Grenzziehung von einem Tag auf den anderen von ihren überlebenswichtigen Wegen abgeschnitten, denn nun durfte niemand mehr ohne besondere Erlaubnis die Grenze überschreiten, dass vorher aber völlig normal war. Viele haben als Nomaden gelebt, hatten ihre eigenen Strukturen, die nun keine Geltung mehr haben sollten. Das führt zu Konflikten .

Jamil Ahmad geht mit Beamten, Journalisten und den verschiedenen Bevölkerungsgruppierungen durchaus hart ins Gericht, gleichzeitig prangert er niemanden persönlich an, es scheint kein Schlüsselroman zu sein, so dass niemand sein Gesicht verliert, das gerade in orientalischen Staaten wichtig ist. Er zeigt damit, dass man Kritik üben kann, ohne das man jemanden persönlich bloß stellen muss, so wie es in unseren Landen immer wieder üblich ist .

Dieser Roman ist sehr lesenswert und wenn man sich darauf einlässt, kann man seine eigenen Vorurteile überprüfen und gegebenenfalls verändern, man kann sich öffnen für ein Land, das uns unbekannt ist, man kann sich in ein sozialkritisches Märchen verführen lassen .

– Marion Hahn –
© read MaryRead

Belletristik

Jamil Ahmad: Der Weg des Falken
Originaltitel: The Wanering Falcon
Übersetzung aus Pakistani: Giovanni und Ditte Bandini
Roman
188 Seiten
gebunden
erschienen erstmals in Originalsprache: 2011
erschien: 19.02.2013
Verlag: Hoffmann und Campe

Gibt es nur noch als Taschenbuch:
192 Seiten / erschien: 29.10.2014 / Verlag: dtv / ISBN 978-3-423-14362-2
Preis: 9,90 € (D), 10,20 € (A)


1 Vgl. Jamil Ahmad: Der Weg des Falken, S. 161


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