„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque

Veränderung der Ansichten

Zum hundertjährigen Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs kann man zurzeit viele Dokumentationen sehen und lesen, zu dem großen Schlachtfeld in Frankreich, wo man bis heute aufgestapelte Skelette findet. Vieles dreht sich um die Frage, wäre der Erste Weltkrieg zu verhindern gewesen? Für die Deutschen kommt noch die Frage nach der Schuld hinzu.

Wir, die Nachgeborenen, die vom unmittelbaren Krieg bislang verschont sind, neigen dazu, den Ersten Weltkrieg sachlich, wissenschaftlich die Statistiken der Verletzten und Toten zu analysieren, aus einer großen Distanz. Der Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque setzt der Distanziertheit etwas entgegen. Er schildert im Antikriegsroman aus der Sicht eines Soldaten, was der Krieg an Emotionen auslöst. Es geht nicht mehr um die Verteidigung des Landes, es geht um das nackte Überleben, immer an der Grenze zum Verrücktwerden.
      Paul Bäumer ist einer von den zahlreichen zwanzigjährigen Soldaten, der mit seinen Freunden und Mitschülern in den Krieg zieht. Sehr schnell wird ihm und seinen Freunden deutlich, dass der Krieg nichts mit dem zu tun hat, was sie zuvor von Lehrern, Eltern und den militärischen Schreibtischtätern erzählt, eingetrichtert bekommen haben. Im Krieg gibt es keine Helden sondern nur Verlierer.
      Sprachlich gelingt es dem Autor, beim Leser innere Bilder zu erzeugen. Man kann sich die Enge der Gräben, dem nicht zu entkommenden Schlamm und vor allem die überall begleitende Angst sich vorstellen. Teilweise ist es so bedrückend, dass man froh ist ein Buch in der Hand zu haben, um es zu jederzeit zuklappen zu können.

Der Roman von Erich Maria Remarque beginnt, als der Durchmarsch der Deutschen durch das neutrale Belgien schon geschehen ist, als die Deutschen in Frankreich nicht weiter vorwärts kommen, der Stellungskrieg seinen Anfang nimmt und kein Ende findet. Der Ich-Erzähler, Paul Bäumer, macht sich in den Gräben, in der kaputten Landschaft, wo buchstäblich kein Grashalm mehr wächst, seine Gedanken. Dabei wird ihm und die bis dahin überlebenden Freunden folgendes deutlich:

1. Die vermeintlichen Autoritätspersonen haben ausgedient, die kann man nicht mehr ernst nehmen.
2. Der Krieg macht nur für die militärischen Schreibtischtäter Sinn.
3. Eine gesamte Generation ist in Europa um ihr Leben beraubt worden. Die jungen Überlebenden haben keinen Platz in der Gesellschaft, da sie nur das Töten, das Überleben, das Grauen schlechthin kennen. Sie sind ohne berufliche Position, in die sie zurückkehren könnten.

Der Schriftsteller, der den bürgerlichen Namen Erich Paul Remark trägt, (S. 330) wird am 22.06.1898 in Osnabrück geboren und stirbt am 25.09.1970 in Locarno.
     Beim Werbeblättchen Echo Continental wird er nach dem Krieg Werbetexter und „1925 Redakteur beim Berliner Sport im Bild“. (S. 331) Vier Jahre später (1929) erscheint der Roman Im Westen nichts Neues, dass zu einem großen Erfolg wird. In der gebundenen Ausgabe des Kiepenheuer & Witsch Verlags wird ausführlich die Entstehungsgeschichte im Anhang sowie im Aufsatz „Wir passen nicht mehr in die Welt hinein“ von Thomas F. Schneider beschrieben.
Das vorliegende Werk wird 1933 durch die Nationalsozialisten der Bücherverbrennung preisgegeben. Der Autor ist 1929 ausgewandert und erhielt 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Seine späteren Romane wie Zeit zu leben und Zeit zu sterben und Schatten im Paradies sind in den USA bekannt, in Deutschland kennt kaum jemand diese Literatur.

Der Roman ist von dem Regisseur Lewis Milestone mit dem amerikanischen Titel All Quiet on the Western Front im Jahr 1930 verfilmt worden. Es ist einer der ersten Filme mit Ton und gilt als ein Meisterstück.
     In Amerika kamen die Zuschauer in Scharen in die Kinos, in Deutschland wollte man den Film ebenfalls sehen. Obwohl der Film von der Zensur genehmigt war, gelang es Joseph Goebbels diesen Film kurz darauf verbieten zu lassen, weil er zu pazifistisch sei, die deutschen Soldaten verunglimpfen würde. Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt waren die Nationalsozialisten noch nicht an der Macht. Im Ausland wurde dieses Verbot nicht gut aufgenommen: Sie sahen in dem Verbot die Verunglimpfung der Deutschen.

Wenn man dieses Werk gelesen hat, beginnt die eigentliche Auseinandersetzung, man begreift ein winziges Stück von der jüngeren europäischen Geschichte, doch desto mehr man die Historie zu Beginn des 20. Jahrhunderts begreift, desto weniger versteht man die heutige Situation: Man begreift nicht, warum man heutzutage in den Krieg zieht, wie der Jugoslawienkrieg in den 1990er Jahre, man begreift den deutschen Waffenhandel nicht. Man begreift ebenso wenig, dass dieses Buch keine Schullektüre ist.
     Anhand des Protagonisten und der Handlung dieses Romans kann man ein wenig mehr die Folgezeit verstehen, die Weimarer Republik mit ihrer Zerrissenheit zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und politischem Niedergang, die Mündung in das Dritte Reich und die 68er Generation.
Zu Beginn ist Paul, so wie viele andere auch, begeistert in den Krieg gezogen, doch schon bald wird aus dem begeisterten Soldaten ein ernüchterter junger Mann, der sich nichts sehnlicher wünscht, den Krieg nie erlebt zu haben.

Dieser Roman mit der Schilderung einer Realität empfiehlt sich nicht als Bettlektüre, stellt jeden Horror-Roman in den Schatten.

 © read MaryRead 2014

Schatztruhe

 

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues
Mit dem Aufsatz von Thomas F. Schneider:
Wir passen nicht mehr in die Welt hinein
Roman
362 Seiten
gebunden
erschien: 07.11.2013 (Neuauflage)
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04581-9
Preis: 15,00 € (D), 15,50 € (A)

Angaben zum Taschenbuch:
336 Seiten / erschien: 24.01.2014 / Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04633-5
Preis: 7,99 € (D), 8,30 € (A)

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