Heinrich Heine oder Deutschsein für Anfänger

Deutschsein für Anfänger

Heinrich Heine (Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, 1831)

Niemand mag oder mochte Heine. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich mit Reaktionen zu Heinrich Heine befasst: verunglimpft, angefeindet, beschimpft wurde der Autor, verboten und verbrannt seine Texte. Heine lebte mitten durch die Zeit hindurch, als die deutsche Nation im Werden sich immer stärker zu fragen begann, was sie denn eigentlich sei. Im Jahr 1856 starb Heinrich Heine – Lyriker, Feuilletonist, Reisebericht erstatter, Essayist, Satiriker, Polemiker, deutscher Jude, vermeintlicher Romantiker, designierter Modernist – im Exil in Paris, weil er in Deutschland politisch oder aber vielleicht auch und gesellschaftlich nicht gelitten war.
Dem Antisemitismus begegnete er mit Taufe, aber ohne Effekt. Am Ende von seinen Liedern befand er sich außerhalb. Eine Wendung, die den Zeitgeist trifft. Außerhalb eines Deutschland, das noch gar nicht existierte und immer wieder für lange Zeit außerhalb der deutschen Literatur, wo falsche Germanisten und Nationalisten in Talaren das Wort führten. Aber wohin? Heine ist wieder zurück, als sei er nie weg gewesen und sein Werk wird wieder rezipiert, seit sich die Kunst von der Nation erholt. Sogar eine Universität darf nun den Namen Heine tragen, nach langem Widerstand.
Heine ruft seit jeher ambivalente Reaktionen hervor. Wer eine politische Meinung nicht nur hat sondern diese – Gott bewahre! – auch noch kund tut, macht sich ohnehin nie beliebt. Wenn er sie aber noch in beißendem Spott und scharfem Witz pointiert zu formulieren weiß, hat er es umso schwerer. Wehe noch dem, der zu allem Überfluss sich einer Sprache bemächtigt, die leicht ist und frei, gewitzt und elegant. Wer seine Zunge und Feder zu führen weiß, dass seine Feinde aussehen müssen wie maulfaule Bauern oder begriffsstutzige Pennäler, kann sich nirgends mehr blicken lassen. Denn was einer an Hochachtung verdient, muss er doch meist an Neid und Missgunst ernten.
Um all diesem aber die Krone aufzusetzen, war Heine – und das ist vielleicht der eigentliche Punkt seiner Ablehnung – verantwortlich für eine gewaltige narzisstische Kränkung: er – der Jude – war der deutscheste Dichter. (Was von properen Nationalisten natürlich nicht verwunden werden konnte!) Kein Dichter im deutschen Kanon, der sich so intensiv, so spöttisch-liebend mit dem Deutschen und seinem Deutschsein beschäftigte. Kein Dichter, der sich an so vielen deutschen Mythen und Legenden abarbeitete, an der sogenannten deutschen Seele und dabei auch noch eben dieses Deutschsein für die kommenden Jahrhunderte in Worte kleidete. Und kein Dichter, der letztlich der deutschen Sprache derart das Fliegen beibrachte.
Manche aber mochten ihn doch. „Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben.“ gesteht Friedrich Nietzsche in seinem Ecce homo (1888) und fügt hinzu: „Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind.“ (Kapitel Warum ich so klug bin. 4. Abschnitt) Der eine oder einige andere ließen sich hier noch anführen, denn glücklicherweise wurde Heine ebenfalls immer schon geschätzt und genossen. Und auch dafür bissen sich die Nationalisten dorthin wo es weh tut: Heine beeinflusste durch sein Schreiben.
Wer sich also heute Gedanken darüber macht, was es heißt deutsch zu sein, sollte Heine lesen. Wer sich in den deutschen Mythen und Legenden bilden und gleichzeitig unterhalten werden möchte, sollte Heine lesen. Wer das Groteske an der Frage nach dem Wesen des Deutschen nachfühlen möchte, sollte Heine lesen. Wer sprachliche Eleganz und scharfen Witz schätzen kann, sollte Heine lesen. Wer nachspüren möchte, was es überhaupt bedeuten kann ein deutscher Dichter zu sein, sollte Heine lesen. Wer etwas gewinnen möchte über die Frage wer zu einer Nation, zu einem Volk gehören darf und wem dies mit welchen Argumenten verweigert wird, sollte über Heine nachdenken. Wer hat schon eine Chance deutsch zu sein, wenn nicht einmal Heine es sein durfte?

– Simone Jawor –
© read MaryRead

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