Poetica 2016

I’m blue – Dubidubi Dubiduba

Wenn Poeten und Wissenschaftler vor Publikum über das Blaue in der Welt räsonieren, geht jedem Blau-Fan das Herz auf. Wie lang blaue Wellen sind, wie abwesend arktisches Blau ist und ob die Nase der Frau von Novalis auch blau war erfährt man da. Warum darf blau nicht einfach eine fröhliche Farbe sein? Wegen der Kultur! Und eine königliche Farbe? Das ist lang vorbei! Wer schon immer facettenreich über das Blaue informiert werden und selbst informieren wollte, war am Montag den 25. Januar 2016 an der Universität zu Köln bei der Eröffnungsveranstaltung der Poetica – dem Festival für Weltliteratur – genau richtig. Hier wurden Blauliebhaber verwöhnt und Blauverächter versöhnt. Nicht uninteressant, nicht nötig, nicht langweilig, nicht kurz und nicht in jedem Sinne bunt war der Abend. Zugegeben, es gab Melancholie en masse, tiefsinnige Todestexte, wunderbare Wortspiele und allerlei schriftstellerischen Schabernack als Sprachenpotpurri.
Hier und da in den Eröffnungsreden eine blaue Note zum Kölner Silvester und dann der Gegenschwung der internationalen, will sagen abendländischen, Literatur. Für die ganze Welt der Weltliteratur war die Veranstaltung dann doch etwas zu europa-lastig.
Der Rektor der Universität zu Köln Prof. Dr. Axel Freimuth, selbst Physiker, zitiert Literatur über die Physik des Blauen. Weitere offizielle Stimmen ertönen blauwillig: Dr. Katharina Kloke vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und Barbara Foerster vom Kulturamt Köln. Plötzlich sind die Freunde des Blauen auf einer Wellenlänge, blau vergesellschaftet, das Miteinander ist Thema, die gemeinsame Melancholie verbindet.
Schließlich übernimmt Aleš Šteger (Kurator der Poetica und Moderator des Abends), seinerseits Slowene, nach kurzen Eröffnungsworten, die Regie des Abends. Je ein Poet tritt aus der Sitzgruppe im Bühnenhintergrund vor und liest einen Text, anschließend ein Ultrakurzinterview geführt von Šteger. Was diesem gelegentlich an Souveränität entgleitet, fängt er mit dem Charme des weltgewandten Gastgebers wieder auf.
Lavinia Greenlaw (GB) eröffnet den Reigen der Melancholie mit einem Text darüber, was die blaue Arktis nicht ist. Juri Andruchowytsch (Ukraine) erzählt von Werwölfen in verlassenen sowjetischen Armeestützpunkten und seiner musikalischen Gegenwart. Georgi Gospodinov (Bulgarien) entgrätet Wortfische und informiert, dass er dem traurigsten Ort der Welt entstammt. Ilma Rakusa (Schweiz) betrachtet Venedig als Architekturliste und die Liste als Kunstform.
Dann…Kunstpause!

Georgi Gospodinov

Prof. Dr. Günter Blamberger (Direktor des internationalen Kollegs Morphomata ) beginnt – thematisch völlig unvorhersehbar – einen Exkurs zum Blauen. Interessanterweise tatsächlich sehr interessant, um nicht zu sagen: amüsant. Es geht um Heines Spott über Novalis, die blaue Blume des verschlafenen Heinrich von Ofterdingen , das Traummotiv und den Wendepunkt, den die Kleidung Werthers und die blaue Blume für das Blaue markieren: es wird zum Symbol der unkonventionellen Loslösung. Blau ist nicht objektiv gegeben, sondern immer nur ein Sinneseindruck unter dem Einfluss kultureller Prägung. Diese, das wird deutlich, wird an diesem Abend international erkundet. Zum Abschied ein Schmunzeln zum wahrscheinlich blauesten Gefängnisausbruch, den die Literatur bisher hervorgebracht hat in Michael Ondaatjes In the skin of a lion (In der haut eines Löwen, übersetzt v on Peter Torberg ) von 1987 .
Das Poetische hat wieder die Bühne. In der zweiten Hälfte der poetischen Darbietungen und Gesprächsrunden macht sich Bernardo Atxaga (Spanien) auf Baskisch und Spanisch Gedanken über seinen Todestag, begleitet und gebrochen vom mantrahaften Dubidubi Dubiduba. Der fröhlich-depressive Sjón (Island) liest von einer Litographie Marie Curies aus den Händen des Malers Munch. Seine Empfehlung im Angesicht von Todesahnungen: sobald man sich als völliger Melancholie erhebt, muss man ein Gedicht darüber schreiben! Ana Ristović (Serbien) hält es mit der intensiven Selbstbetrachtung und Durs Grünbein (Deutschland), der mit einem Bein in Rom lebt teilt mit: Das gute an Rom ist, dass man für die Stadt immer schon zu spät ist. Paul Muldoon (Irland) verbindet Erinnerungen mit historischen Ereignissen und toten Indianern, um sich literarisch dem Tod eines jungen Menschen zu nähern. Über allem klingt, schwebt und schimmert es blau. Auch für frohe Menschen ohne Neigung zum blauen Gemüt unbedingt sehens- und hörenswert.

Wer Interesse an mehr Blau hat, an blauen Tönen und klingenden Worten, hat noch den Rest der Woche Gelegenheit an weiteren Veranstaltungen des Festivals teilzunehmen. Das Programm ist zu finden unter ( ) :

http://www.poetica.uni-koeln.de/poetica-2/

Simone Jawor –
© read MaryRead

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