Lit.Cologne 2017: Auftaktveranstaltung mit T.C. Boyle

lit.Cologne 2017: li: T.C. Boyle, re: Philipp Schwenke (Moderator) / Foto: © Simone Jawor

Is it possible to create a world?

T.C. Boyle, der Blitzautor unter den zeitgenössischen amerikanischen Schriftstellern, gab sich zum Preview 2 der LitCologne 2017 mal wieder die Ehre in Köln. Im Musical Dome stellte er am 20. Februar 2017 sein neues Buch „Die Terranauten“ dem Publikum vor und äußerte sich nebenbei zu Weltpolitik und Berglöwen.
Das Erfolgsrezept einer Buchveröffentlichung setze heute voraus, dass entsprechendes Buch das Wort „girl“ im Titel habe, scherzt Boyle eingangs und hält sich mit seinem aktuellen Werk doch nicht an die eigene Beobachtung. Im Buch selbst hingegen gibt es genug weibliche und auch männliche Figuren sowie reichlich Verbindungen und Verwirrungen zwischen ihnen.
Is it possible to create a world?“ nennt Boyle als Grundfrage des Biosphere 2 Experiments aus den 1990er Jahren, das er als Schauplatz und Grundlage für seinen neuen Roman ausgewählt hat. Boyle baut seine fiktive Geschichte auf den technischen Grundlagen des realen Experiments auf und erkundet so den menschlichen Aspekt von Wissenschaft, wenn acht Personen ausgewählt werden um zwei Jahre in einem geschlossenen System miteinander eingesperrt werden, um zu Forschen. Gleichsam ist dies natürlich auch die grundlegende Frage des Schreibens und wird so für Boyle in einem doppelten Sinne relevant.
Was bringt Menschen überhaupt dazu einzuwilligen, sich unter solchen extremen Bedingungen auf engstem Raum freiwillig zusammen einsperren zu lassen? Der Autor ergründet den Reiz und kann ihn doch selbst nicht fühlen. Herr Boyle würde auf keinen Fall selbst mitmachen, lässt er wissen. Und doch faszinieren ihn immer wieder kultartige Strukturen, Strudel in die Menschen hineingezogen werden, wie man auch einigen seiner bisherigen Romane anmerkt. Von den ursprünglichen sechzehn Kandidaten für die Mission im geschlossenen Raum, werden acht ausgewählt. Doch das Buch erzählt nicht nur aus der Perspektive der glücklichen Gewinner, sondern gibt auch den vermeintlichen Verlierern eine Stimme. Die Erzählperspektive wechselt zwischen mehreren Figuren, die die Zeit vor und während des Experiments schildern.
Woran das Experiment in erster Linie von Beginn an krankt, so Boyle, ist die Abwesenheit einer zugrunde liegenden Theorie. Das originale Biosphere 2 Experiment war nach Ansicht des Autors einfach nur der Frage nach Machbarkeit geschuldet. Man versuchte alle Faktoren zusammenzubringen um eine Lebenswelt zu schaffen und zu gucken was passieren würde. Is it possible to create a world? Und obgleich große wissenschaftliche Leistungen im Einzelnen erbracht wurden, besonders im Ingenieursbereich, bleibt das Ganze doch ohne konkretes Ziel. So wird für den Autor der Faktor Mensch zum eigentlich interessanten Aspekt des Experiments. Die Wissenschaftler sind nicht nur unter schwierigen Lebensbedingungen und den Anforderungen harter Arbeit zusammen eingepfercht, sie stehen auch unter ständiger Beobachtung: des Kontrollzentrums, der Öffentlichkeit, der Wissenschaftstouristen, der anderen Teilnehmer. Eine extreme Herausforderung. Und letztendlich stehen die fiktiven Charaktere, die in das reale Umfeld der historischen Begebenheiten hineingeschrieben werden auch noch und ganz besonders unter Beobachtung des Autors und schließlich der Leser. Der Autor schafft damit eine Welt. Zwar keine, die man atmen, messen oder verspeisen kann, aber doch eine Welt im Denken, in der man beobachten und nachfühlen kann.
Die Verwandtschaft zum Reality-TV liegen auf der Hand und Boyle erklärt er habe auf die Frage eines Journalisten einst geantwortet, dass er in seinem ganzen Leben noch nie eine Sekunde Reality-TV gesehen habe. Auf die Rückfrage warum das so sei, bemerkte er: „Ich kann lesen!“ Warum sich also eine vermeintlich reale Welt ansehen, wenn man eine vermeintlich reale Welt selbst erschaffen kann? It is possible to create a world!
Doch im Gespräch mit Philipp Schwenke kommt noch eine weitere Spielart der Welterschaffung zur Sprache: die der Politik, der politischen Entscheidungen. Schwenke kann es sich nicht verkneifen trotz Boyle’schen Protests immer wieder beim Thema Donald Trump nachzuhaken. Und Boyle, er ziert sich und genießt doch die Plattform seinem Ärger Luft machen zu können. Nach seiner ohnehin dunkelhumorigen Empfehlung die Weltrettung entweder durch Erschießen der Menschen oder durch eine konsequente 100jährige Abstinenz voranzutreiben, lässt er mehrfach unverblümt wissen, was er vom neuen US-Präsidenten hält. Die Formulierung Trump sei die Antithese zu allem an das er glaube, ist hierbei die neutralste Äußerung. Is it possible to create a world? Wenn es nach T.C. Boyle geht, wird es Donald Trump nicht möglich sein, eine Welt nach seinen Vorstellungen zu erschaffen.

– Simone Jawor –
© read MaryRead 2017

► Bordbuch

T. C. Boyle: Die Terranauten
Originaltitel: The Terranauts
Übersetzung aus dem Amerikanischen : Dirk van Gunsteren
Roman
608 Seiten
gebunden
Format (H x B x T): 220 x 146 x 40 mm
Gewicht: 847 g
erschien: 03.01 .2017 (inzwischen 2. Auflage)
Verlag: Hanser
ISBN 978-3-446-25386-5
Preis: 26,00 € (D), 26,80 € (A)

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