lit.Cologne 2016 – ein Zwischenruf

Wenn man schon keine Oper hat…

Am kommenden Wochenende findet die lit.cologne, die in diesem Jahr zum 16. Mal begangen wird, im Kölner Dom ihren Abschluss. Noch während das Literaturfestival in Köln seinen Gang geht, ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen .

In einem Small-Talk würde ich auf die Frage, was mein persönlicher Eindruck von der diesjährigen lit.Cologne sei, eine kurze und knappe Antwort geben: sie ist schön, die Auswahl der Autoren bieten einen unterhaltsamen Abend. Wünscht man von mir hingegen eine tiefergehende Antwort, so sähe sie anders aus. Der scheinbare Kontrast muss kein Widerspruch sein .



Deutscher Hörbuchpreis

WDR 13.1. 2016, Jury Hörbuchpreis 2016, Herby Sachs/WDR V.l.n.r.: Lothar Sand, Jörg Hopfgarten, Frank Olbert, Astrid Roth, Cornelia Wichterich, Dr. Ursula Voss / Nicht auf dem Foto: Dr. Franz Josef Görtz / © WDR

Die lit.Cologne wird traditionell mit der Vergabe des Deutschen Hörbuchpreises eröffnet. Dieses Mal wurde Sophie Rois als „Beste Interpretin“ für „Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky (der Roman war für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert, Longlist ), Lars Eidinger als „Bester Interpret“ für „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur üblen Sache“ von David Foster Wallace (übersetzt aus dem US-amerikanischen von Ulrich Blumenbach), Der Audio Verlag und SWR als „Bestes Hörspiel“ für „Wir“ von Jewgenij Somjatin (übersetzt aus dem Russischen von Gisela Drohla), der Hörverlag und hr als „Bestes Sachhörbuch“ für „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“ von Neil MacGregor (übersetzt aus dem Englischen v on Klaus Binder), Philipp Moog als „Beste Unterhaltung“ für „Tante Poldi und die sizilianischen Löwen“ von Mario Giodano, der Hörverlag und Bayerischer Rundfunk als „Beste Verlegerische Leistung“ für „Die Quellen sprechen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945“, Silberfisch im Hörbuch Hamburg Verlag und WDR als „Bestes Kinderhörbuch“ für „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende .



lit.Cologne – ein Erfolgsmodell?

Auf der lit.Cologne sind Nobelpreisträger wie Orhan Parmuk und Alvin E. Roth , es sind renommierte Schriftsteller wie Alexander Kluge und Donna Leon anzutreffen. Und genau hieran mache ich auch meine Kritik fest: Das Festival mit seinen diesjährigen 186 Veranstaltungen an verschiedenen Orten in der Stadt Köln, ist elitär, für High-Culture-Society; Bibliophile und Intellektuelle mit einem dementsprechenden Portemonnaie. Weder sind die Eintrittspreise so gestaltet, dass Menschen mit geringem Auskommen eine Chance hätten, daran teilzunehmen, noch fördert man Jungautoren oder weniger bekannte Schriftsteller. Das ist ein Ärgernis. Jungautoren und unbekannte Schriftsteller zu fördern, wäre in solch einem Rahmen durchaus umsetzbar. Man könnte beispielsweise, ähnlich wie es bei bekannten Musikbands praktiziert wird, Jungautoren vor einem bekannten Schriftsteller, sich und sein Buch vorstellen lassen. Oder ein renommierter Autor und ein Jungautor lesen jeweils im Vorfeld das Buch des anderen und während der Veranstaltung sprechen und diskutieren sie darüber. Wahrscheinlich würde einem noch mehr Ideen einfallen, sofern man eine Förderung tatsächlich wünscht .
Ist die lit.cologne ein Erfolgsmodell? Die Statistiken geben einem eine klare Antwort: Ja. Die Besucherzahl und der Bekanntheitsgrad nehmen von Jahr zu Jahr zu. Und doch gibt es einen fundamentalen Einwand. Wie alle Statistiken haben sie immer mindestens einen Makel: Sie sagen nichts aus. Es kommt erst dann zu einer Aussage, wenn sie von jemanden bewertet wird, doch hierbei ist nie ein absolut neutraler Blick möglich. Sie sagen nichts über Qualität und ähnliches aus. Ich zweifle nicht die Statistiken an, jedoch ist eine Veranstaltung in dieser Größenordnung nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, andere zu fördern und die Türen für jedermann offen zu halten. Bislang entspricht das Festival dem Klischee von Elite. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht viel um sehen und gesehen werden, um ein kurzweiliges Gesprächsthema zu haben, um in den Genuss zu kommen: „Oh Sie haben noch Karten bekommen. Ich leider nicht.“ (diese waren schon Ende November, Anfang Dezember nahezu ausverkauft), die Liste könnte noch endlos weitergeführt werden. Man könnte annehmen, dass das Festival einen ähnlichen Stellenwert mit ähnlichen Auswirkungen wie die Richard-Wagner-Festspiele anstrebt. Möchte man an den Festspielen teilnehmen, muss man eine Wartezeit von sieben bis neun Jahren einkalkulieren, ebenso sollte man mindestens 200 € bereit halten, denn so hoch ist der Preis für eine Karte. Böse und scharfe Zungen könnten daraus den Schluss ziehen: Wenn Köln sich lieber in Diskussionen, heißem Gezeter und gegenseitiger Schuldzuweisung bezüglich des Opernbaus verheddert und nicht in der Lage ist, ein eigenes Opernhaus zu bauen, dann soll das Literaturfestival dies mindestens ausgleichen. Welche Gesellschaftsschicht bevorzugt in die Oper geht, muss nicht näher erläutert werden .

Das Tragische ist: Solche Zwischenrufe arten zu einem Ritual aus, ändern werden sie nichts. Zum einen werden die Veranstalter kein Interesse haben, das von den Besuchern geschätzte Konzept zu ändern, zum anderen haben gute Finanzbilanzen den höchsten Stellenwert, dass leider allzu oft auch im Literaturbetrieb anzutreffen ist: Ideale sind nur was für die Ewiggestrigen, Kultur als Gut für alle Schichten eines Landes sind nicht (mehr) en vogue. Die Grundhaltung solcher Veranstaltungen kann auch die kostenlose Abschlussveranstaltung am kommenden Samstag im Kölner Dom nicht ausgleichen. Karten hierzu sind schon alle vergeben. Einen kleinen Trost möchte ich Ihnen dennoch geben: Wir werden über den Abend mit persischen Gedichten erzählen.

– Marion Hahn –
© read MaryRead

Bordbuch

Alle Hörbücher und Bücher im Überblick :

Sophie Rois: Baba Dunjas letzte Liebe
von Alina Bronsky

ungekürzte Lesung, CD
erschien: 18.08.2015
Verlag: Roof Music
ISBN 978-3-86484-301-3
Preis: ca. 20,00 €

Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe
Roman

160 Seiten
erschien: 13.08.2015
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04802-5
Preis: 16,00 € (D), 16,50 € (A)


Lars Eidinger: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur üblen Sache
von David Foster Wallace
43 Minuten, CD
erschien: 27.03.2015
Verlag: Roof Music
ISBN 978-3-86484-277-1
Preis: ca. 15,00 €

David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur üblen Sache
Erzählung

zweisprachige Ausgabe (Deutsch – Englisch)
Übersetzt aus dem Englischen : Ulrich Blumenbach
Taschenbuch
112 Seiten
Erstveröffentlichung: 1984 in der literarischen Studentenzeitschrift The Amherst Review
erschien: 30.03.2015
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04749-3
Preis: 6,00 € (D), 6,20 € (A)


Der Audio Verlag und SWR: Wir
von Jewgenij Samjatin

gesprochen von Hanns Zischler, Andreas Pietschmann, Jana Schulz u.v.a.
90 Minuten, CD
Verlag: Der Audio Verlag
ISBN 978-3-86231-591-8
Preis: ca. 17,00 €

Jewgenij Samjatin: Wir
Roman

Übersetzt aus dem Russischen : Gisela Drohla
224 Seiten
zur Zeit nur schwer beziehbar


Philipp Moog: Tante Poldi und die sizilianischen Löwen
von Mario Giordano

415 Minuten, CD
erschien: 11.03.2015
Verlag: Lübbe Audio
ISBN 978-3-7857-5077-3
Preis: ca. 17,00 €

Mario Giordano: Tante Poldi und die sizilianischen Löwen
Kriminalroman

367 Seiten
erschien: 10.03.2015
Verlag: Ehrenwirth
ISBN 978-3-431-03914-6
Preis: 14,99 € (D), 15,50 € (A)


Silberfisch im Hörbuch Hamburg Verlag und WDR: Die unendliche Geschichte
von Michael Ende

gesprochen von Anna Thalbach, Hans Kremer, Jürgen Thormann, Mechthild Grossmann, Jens Wawrczeck
Regie: Petra Feldhoff
270 Minuten, CD
erschien: 09.12.2014
Verlag: Silberfisch
ISBN 978-3-86742-723-4
Preis: ca. 20,00 €

Michael Ende: Die unendliche Geschichte
Alter: ab 13 Jahre

475 Seiten
gebunden, Halbleinen
erschien: 16.07.2004 (16. Auflage, 2015)
Verlag: Thienemann
ISBN 978-3-522-17684-2
Preis: 19,99 € (D), 20,60 € (A)


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