Was ist Kinderlyrik?
Kennzeichen und Erläuterung von Kinderlyrik
Unter dem Begriff Kinderlyrik werden die
„
Begriffe
Kinderlied
,
Kinderreim
oder
Kindergedicht
[…]
teilweise
[…]
s
ynonym
gebraucht
“
1
,
das heißt, es gibt keine eindeutigen Abgrenzungen zwischen den einzelnen Begriffen
.
Die Kennzeichen von Kinderlyrik sind die
„
strukturell einfache
Redeform
“
und das
„
Fehlen eines
narrativen
(=
erzählenden
2
)
Inhalts
“.
3
Weitere Kennzeichen sind: Viele Kinderreime haben einen
Rhythmus
, der vorgegeben wird durch das
Metrum
und können von daher auch gesungen werden. So sind viele geläufige Kinderlieder ursprünglich ein
Gedicht
gewesen, wie
beispielsweise
„
Frühlingsbotschaft
“
4
, „
Wettstreit
“
5
, „
Rätsel
“
6
oder
„
Schlafe liebes Eselein
“
7
alle von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Es gibt mittlerweile viele
Sammlungen
an Kinderliedern, auch aus aller Welt, wie zum Beispiel
„
Wiegenlieder aus aller Welt
“ von dem Herausgeber
Reijo Kekkonen
.
Außerdem haben Kinderreime
„
Qualitäten der
Bildhaftigkeit
“
8
,
dass in der Sammlung von
Edmund Jacoby
„
Dunkel war`s, der Mond schien helle
“ besonders deutlich wird, wenn „Die Made“ von Heinz Erhardt
9
,
die noch sehr jung ist und nicht auf die Worte der Mutter hört und es mit ihrem Leben bezahlen muss. Oder wie in
„
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
“
von Theodor Fontane
10
wenn der alte Herr vorsorgt und eine Birne mit in sein Grab legen lässt
.
Einige Kindergedichte sind doppelsinnig, das heißt, sie haben einerseits eine einfache Lesart, die sich an Kinder richtet, andererseits eine „ versierte Lesart “, die sich an Erwachsene richtet . 11 Das Gedicht „ Belsazar “ von Heinrich Heine 12 erzählt für das junge Publikum über einen gierigen König, der für seine Gier bestraft wird. Versierte Leser werden die Anspielung auf den Gotteslästerer im Alten Testament erkennen , 13 aber auch die Anspielung auf gesellschaftlich-politische Verhältnisse, die zu Aufständen führen können, wie Heinrich Heine zu seiner Lebzeit 1848 in Deutschland miterleben konnte .
Kindergedichte sind häufig in
Bilderbüchern
a
nzutreffen. Hierbei haben die
Illustrationen
eine besondere Funktion, da sie innerhalb des
Textes
Bezüge herstellen können
,
„
Textstrukturen betonen oder übertönen, Stimmungen erzeugen oder auflösen, Leerstellen des Textes vereindeutigend auffüllen oder offen halten, Tiefenschichten sichtbar
machen
.“
14
Wie Stimmungen erzeugt und aufgelöst werden können, zeigt das mehrsprachige Bilderbuch
„
Der Kolibri
,
der seinen Schnabel
verlor
“ von José Paniagua. Zunächst ist der Kolibri sehr wütend, dass einerseits durch die Worte deutlich wird: „Böse und verärgert …“
15
,
aber auch anhand der Illustrationen neben diesem Text veranschaulichen die Gefühlslage des Vogels, vor allem die mittlere Darstellung ist sehr dunkel gehalten und ungefähr in der Mitte des Bildes ist ein roter Streifen, der die Aggressivität unterstreicht.
Am Ende der
Erzählung
ist der Zorn des Kolibris aufgelöst und an dessen Stelle tritt die Schönheit seiner Umgebung in den Vordergrund. Die dazugehörige Darstellung zeigt viele verschiedene Pflanzen, die ein geschütztes Schloss umrahmen
.
Hingegen wird im Bilderbuch
„
Bitte blubb blubb rette mich!
“ von
Barbara Schmidt
die Darstellungen einerseits zur
Vertiefung des
Textes
eingesetzt, andererseits entstehen immer wieder Leerstellen, die durch die Bilder erzeugt werden, beispielsweise wird eine schreibende Krake mit einem Füller dargestellt, dass aber im Text keine Erwähnung findet, sondern lediglich von Tinte erzählt wird
.
Beide
Kinderbücher
haben eines gemeinsam: stellenweise Wiederholungen von Textpassagen. Im Bilderbuch von José Paniagua sind es die Stellen, an denen die jeweilige Stimmung des Kolibris deutlich wird, bei Barbara Schmidt ist es die Erklärung des Elefanten, wenn er einem weiteren Tier begegnet
.
Die Kinderlyrik ist nicht immer eindeutig von der
Lyrik
für Erwachsene abzugrenzen, aber sie haben häufig einen Rhythmus, der einen zum Singen einladen kann, und / oder einen
Reim
, der die Tendenz zum Humorvollen hat wie bei Barbara Schmidt oder die rhythmischen Wiederholungen wie bei José Paniagua
.
Wenn bestimmte Kennzeichen zusammen auftreten, kann man am ehesten zwischen den Gedichten für Erwachsene und
Kinderverse
unterscheiden
.
–
Magdalena Schwarz
–
©
read
MaryRead
1
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 143
2
Ergänzt von der Verfasserin
3
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 147
4
Gedichte für alle Fälle:
Frühlingsbotschaft
,
von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, zuletzt abgerufen am 05.05.2016
5
Freiburger Anthologie:
Wettstreit, von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
, zuletzt abgerufen am 05.05.2016
6
Gedichte – Lyrik – Poesie:
Ein Männlein steht im Walde, von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
, zuletzt abgerufen am 05.05.2016
7
Hoffmann von Fallersleben: Schlafe, liebes Elselein. Der KinderbuchVerlag in der Verlagsgruppe Beltz – Weinheim – Basel, 2009
8
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 146
9
Edmund Jacoby: Dunkel war`s, der Mond schien helle. Gerstenberg Verlag 2013, S. 81
10
Ebenda, S. 134f.
11
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 146
12
Edmund Jacoby: Dunkel war`s, der Mond schien helle. Gerstenberg Verlag 2013, S. 138f.
13
Vgl. Altes Testament: Daniel 5,1 – 8,27 (Luther-Übersetzung 1984)
14
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 153f.
15
José Paniagua: Der Kolibri, der seinen Schnabel verlor. Amiguitos – Hamburg – 2012, S. 10