„Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“ von Benjamin Alire Sáenz

Kontraste

Felicitas Lys, Timo Kersenblösem und Sandra Ingeving sitzen im Sender und diskutieren vor der Öffentlichkeit das Jugendbuch „Aristoteles und Dante“ von Benjamin Alire Sáenz. Sie sitzen an einem runden Tisch, jeder von ihnen hat das Buch vor sich liegen. Sandra ist die Diskussionsleiterin und eröffnet die Runde :
Herzlich willkommen zu unserem L ets talk about . Timo, du bist 19 Jahre alt. Vor zwei Jahren hast du dein Abitur gemacht, zurzeit arbeitest du in einer Schreinerei – machst dort eine Ausbildung – und in deiner Freizeit liest du viel. Du bist das erste Mal in dieser Runde dabei. Ich freue mich, dass wir dich zu unserem Lets talk about gewinnen konnten. Guten Tag, Felicitas. Du warst schon öfters bei uns, du bist 37 Jahre alt, du hast an der Harvard Universität Geschichte, Philosophie und Anglistik studiert, einige Publikationen veröffentlicht, mehrmals dafür ausgezeichnet worden und seit einigen Jahren schreibst du Literaturkritiken. Willkommen in unserer Runde. Wir begrüßen auch unsere Zuschauer. Wir sind heute zusammengekommen, weil wir über den Jugendroman „Aristoteles und Dante“, geschrieben von Benjamin Alire Sáenz, sprechen möchten. Der Roman ist für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert .“
( Sandra wendet sich an die beiden Gäste ): Mich hat das Thema über Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen und deren Entwicklung überrascht. Ging es euch auch so ?

Felicitas Lys : Es hat mich irgendwie überrascht aber irgendwie auch nicht. Ich hatte das Ende des Romans vor Augen gehabt, war mir aber während des Lesens nie sicher, ob ich es richtig einschätze .

Timo Kersenblösem : Ich fand das Ende blöd, weil ich realistischer gefunden hätte, wenn es keine weitere Annäherung zwischen den beiden Jungs gegeben hätte .

Sandra Ingeving : Wir sollten nicht zu Beginn der Buchvorstellung schon über das Ende des Romans sprechen. Der Untertitel des Buches lautet „entdecken die Geheimnisse des Universums“. Entdecken die beiden Jugendlichen, Aristoteles und Dante, die Geheimnisse des Universums ?

Timo Kersenblösem : Ich habe mir was völlig anderes darunter vorgestellt. Zunächst nahm ich an, dass das Buch eine naturwissenschaftliche Ausrichtung hat, in Richtung Astronomie oder so was. Außerdem glaubte ich zuerst, dass die beiden Jungen, die nach einem griechischen Philosophen und einem italienischen Schriftsteller benannt sind, auch dementsprechend eine philosophische Ausrichtung hat .

Felicitas Lys : Von der philosophischen Ausrichtung bin ich auch ausgegangen, aber das es naturwissenschaftlich sein sollte, habe ich erst gar nicht bedacht. Ich habe mir vor dem eigentlichen Beginn des Lesens den sogenannten Klappentext, der hinten auf dem Buch abgedruckt ist, durchgelesen und da konnte ich nichts naturwissenschaftliches entdecken. Vielleicht habe ich es deshalb erst gar nicht in Betracht gezogen .

Timo Kersenblösem : Nicht das ihr mich falsch versteht. Ich finde das Buch im Großen und Ganzen gut, aber es werden erst mal falsche Erwartungen geweckt .

Sandra Ingeving : Ich finde aber, dass das Buch durchaus philosophisch ist, es geht um praktische Lebensphilosophie, um die Frage „Wer bin ich?“ An einer Stelle stellt Aristoteles die Frage ganz konkret. ( blättert im Buch ). Ich finde gerade die Stelle nicht .

Felicitas Lys : Ja, so betrachtet ist es auf jeden Fall philosophisch. Als Ari, sein Spitzname, mit Grippe und hohem Fieber im Bett liegt, und sein Vater, zu dem er ein schwieriges Verhältnis hat, ihn fragt: „Und du versuchst immer, mich zu finden?“, antwortet Ari: „Meistens versuche ich, mich zu finden, Dad .“ 1

Timo Kersenblösem : Dem kann ich mich nur anschließen, aber man erwartet zunächst etwas anderes. Der griechische Philosoph Aristoteles lebte im 4. Jahrhundert vor Christus und einer seiner bedeutendsten Beiträge war zur Logik, er hat in Form und Inhalt eine Ordnung gesucht .


Sandra Ingeving
: Aber macht das Ari nicht auch
?



Timo Kersenblösem
: Er versucht, sich zu finden. Das ist doch was ganz anderes
.

Felicitas Lys : Ja, er versucht sich zu finden. Um sich selber finden zu können, braucht er die Ordnung. Das wird an den Zimmern der beiden Jugendlichen deutlich. Sein Freund Dante bevorzugt das Chaos, doch Ari liebt die Ordnung .

Timo Kersenblösem : Das ist das Äußere, aber Dante ist innerlich geordnet während in Ari alles chaotisch ist .

Sandra Ingeving : Interessante Gegenüberstellung. Benjamin Alire Sáenz scheint den Chiasmus, den Kontrast in der Gegenüberstellung zu mögen. Dante stammt aus dem Bildungsbürgertum. Seine Mutter ist Psychotherapeutin, sein Vater ist Professor für Anglistik und Ari stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Mutter ist Lehrerin, sein Vater ein ehemaliger Soldat, der traumatisiert aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrt ist .

Timo Kersenblösem : Ari findet seinen Vater schwierig, Dante seine Mutter. Ari ist heterosexuell orientiert, Dante homosexuell .


Felicitas Lys
: Bei beiden stammen die Großeltern aus Mexiko, leben aber in der amerikanischen Gesellschaft
.

Timo Kersenblösem : Das ist zwar richtig, ist aber eigentlich bedeutungslos. Beide Familien sind in der amerikanischen Gesellschaft integriert und assimiliert .

Felicitas Lys : Das stimmt nur bedingt, denn der amerikanische Schriftsteller packt auch noch ein Klischee über Mexikaner aus. Ari`s Bruder sitzt im Gefängnis und die Eltern sowie seine beiden älteren Zwillingsschwestern schweigen sich über ihn aus und zwar dermaßen, dass man den Eindruck haben könnte, dass Ari`s Bruder nie existiert hat. Das macht Ari sehr zu schaffen und das wirft er seinen Eltern vor. Er spricht das nur lange Zeit nicht offen an .

Timo Kersenblösem : Ja, das ist so, dennoch verändert sich das Verhalten und die Sichtweise auf diesen Bruder, seitens der Eltern und Ari selbst .


Sandra Ingeving
: Wie sieht es mit Dante aus? Entspricht er dem italienischen Vorbild
?

Felicitas Lys : Der italienische Schriftsteller, Dante Alighieri aus dem 13. Jahrhundert, stammt wahrscheinlich, ähnlich wie der Protagonist Dante, aus einem gut bürgerlichem Hause. Mit der „Göttlichen Komödie“ hat er die lateinische Schriftsprache abgelöst und gezeigt, dass man Literatur auch in italienisch verfassen und veröffentlichen kann. Aufgrund von politischen Unruhen muss der mittelalterliche Schriftsteller seine Geburtsstadt Florenz verlassen. Der Protagonist Dante liebt ebenfalls Bücher und scheut sich nicht vor klassischer Literatur und Gedichte. Er ist eine Leseratte und ihm gelingt es, auch Ari dafür zu begeistern. Auch er muss für ein paar Monate umziehen, da sein Vater ein Angebot von der Universität aus Los Angeles bekommen hat. Während der italienische Schriftsteller nicht mehr aus seinem Exil zurückkehrt, kehrt die Romanfigur von Benjamin Alire Sáenz wieder zurück .

Timo Kersenblösem : Respekt. So viel Gemeinsamkeiten zwischen den realen Personen und den beiden Jugendlichen habe ich beim Lesen nicht gesehen. Ich denke, ich werde diesen großartigen Roman nochmals lesen .


Sandra Ingeving
: Machen wir hier mal einen Schnitt. Wie findet ihr den Stil des Romans
?

Timo Kersenblösem : Der Stil versucht die Jugendsprache, den jugendlichen Slang wieder zu geben .


Sandra Ingeving
: Ist es aus deiner Sicht gelungen
?


Timo Kersenblösem: Auf jeden Fall. Ich musste mich zwar erst mal ein bisschen daran gewöhnen, vor allem, weil auch Ari viel denkt, was sich in den inneren Monologen widerspiegelt und die Sätze schon mal arg verkürzt sind, aber genau damit trifft Benjamin Alire Sáenz den Nerv
.

Felicitas Lys : Nicht umsonst ist der Roman für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 in der Kategorie Jugendbuch nominiert worden .


Timo Kersenblösem
: Die Jugendjury
hat es aber nicht nominiert .

Sandra Ingeving : Bevor ein neues Diskussionsfeld eröffnet wird, möchte ich kurz von euch wissen, ob ihr das Buch Jugendlichen und auch Erwachsenen empfehlen würdet .


Timo Kersenblösem
: Auf jeden Fall
.


Felicitas Lys
: Ich kann mich Timo nur anschließen. Es ist ein gelungener, hervorragender und tiefgreifender Jugendroman
.

Sandra Ingeving : Unsere Zeit ist leider schon vorbei. Vielen Dank an die Zuschauer, vielen Dank an euch beide .

Wenn Sie mögen, können Sie uns am 21. Oktober mit einer neuen Ausgabe von Lets talk about … sehen. Bis dahin wünschen wir Ihnen eine gute Lesezeit .

Sonja Schneider
© read MaryRead

Jugendb uch


Sáenz, Benjamin Alire : Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums
Originaltitel: Aristotle and Dante Discover the Secrets of the Universe
Übersetzung aus dem Englischen : Brigitte Jakobeit
Roman
Alter: ab 14 Jahre
384 Seiten
gebunden
erschien: 16.07.2014
Verlag: Thienemann
ISBN 978-3-522-20192-6
Preis: 16,99 € (D), 17,50 € (A)


1 Benjamin Alire Sáenz: Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums, Thienemann Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart 2014, S. 74


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