Interview mit Elin Bengtsson zu „Zwischen Winter und Himmel“

Hauptsache beliebt und wie alle anderen sein
so eine Einstellung macht mich rasend.“

Liebe Elin, Dein Debütroman „Zwischen Winter und Himmel” basiert auf einer Kurzgeschichte, die Du bereits mit 15 Jahren geschrieben hast. Warum hast Du Dich für dieses Thema entschieden ?

Foto: © Ilona Bartram

Ich wollte eine Geschichte schreiben, die sich mit der Veränderung von Persönlichkeiten auseinandersetzt, mit dem tiefen Gefühl des Alleinseins und was es bedeutet, wenn Versöhnung misslingt. Meistens fragen mich die Leute, warum ich ein Buch über Tod und Krankheit geschrieben habe, aber darum ging es mir eigentlich primär gar nicht. Dass Andreas krank ist und bald sterben wird, schafft vor allem einen zeitlichen Rahmen – allen Beteiligten ist klar, dass ihnen nicht mehr viel gemeinsame Zeit bleibt. Dass es vielleicht irgendwann zu spät sein könnte, um Unausgesprochenes auszusprechen. Diesen Rahmen nutze ich um über Identitäten und komplizierte Beziehungen zu schreiben .

Andreas und Martin könnten unterschiedlicher nicht sein. Trotz ihrer schwierigen Beziehung lieben sie sich im Stillen sehr. Dies wird in „Zwischen Winter und Himmel“ immer wieder thematisiert, hast Du Geschwister zu denen du eine ähnliche Beziehung hast ?

Es stimmt, die Beziehungen zwischen Geschwistern faszinieren mich schon immer sehr. Vielleicht gerade weil ich keine Geschwister habe. Diese frustrierende Hassliebe, die meiner Vorstellung nach viele Geschwisterbeziehungen prägt, herrscht ja auch zwischen Andreas und Martin. Man liebt sich so sehr und gleichzeitig hält man den Anderen kaum aus – oder die Person, zu der man in der Gegenwart des Anderen wird. Das Buch, an dem ich momentan schreibe, dreht sich auch wieder um die Beziehung zwischen Geschwistern…

Deine Geschichte ist voller Emotionen. Jedes Familienmitglied geht anders mit Andreas’ Krankheit um und es wird deutlich, dass auch Wut, Verzweiflung aber auch Lebensfreude einen Platz neben der Traurigkeit haben. Hast Du „Zwischen Winter und Himmel“ als literarischen Ratgeber für Menschen in ähnlichen Situationen geschrieben ?

Nein, wäre das meine Intention gewesen, wäre ein anderes Buch dabei herausgekommen. „Zwischen Winter und Himmel“ ist keine fröhliche Geschichte und soll es auch nicht sein. Ganz ehrlich, es werden viele unangenehme Gefühle und schwere Emotionen thematisiert – das Buch ist quasi voll von ihnen. Ich finde aber auch nicht, dass Jugendliteratur immer „Hilfestellung“ sein oder geben muss. Jugendliteratur sollte auch nicht immer moralisch sein oder ein Happyend haben. Trotzdem glaube (und hoffe) ich, dass „Zwischen Winter und Himmel“ den Leser positiv zurücklässt. Eine der wichtigsten Funktionen der Literatur ist doch, Erfahrungen und Gefühle sichtbar zu machen, mit denen man sich allein fühlt und die nicht so recht in unsere Gesellschaft und in unseren Alltag zu passen scheinen. Es würde mich glücklich machen, wenn von Krankheiten Betroffene mein Buch lesen und sich nicht mehr ganz alleine damit fühlen würden .

Martin und Andreas stecken beide mitten in der Pubertät, was ihre Beziehung zueinander nur noch komplizierter macht. Wie war das bei Dir, hatte Deine Pubertät großen Einfluss auf Dich und Dein Leben ?

Die Jahre von 15 bis 17 waren schwierig und haben mich sehr geprägt. Als ich mit der Vorlage für „Zwischen Winter und Himmel“ begann, hatte ich gerade angefangen mein Schreiben ernsthaft anzugehen. Ich begann mich für Feminismus und Sozialismus zu interessieren, genauso wie ich begann die Normen zu hinterfragen, an denen sich junge Mädchen viel zu sehr orientieren. Hauptsache beliebt und wie alle anderen sein – so eine Einstellung macht mich rasend. Durch mein Schreiben oder z.B. mein politisches Engagement fand ich eine Möglichkeit mich abzugrenzen und auszudrücken. Wie Martin, war auch ich recht dickköpfig und wollte, dass man mich und meine Überzeugungen ernst nimmt. Ich empfinde es als sehr unangenehm, wenn Erwachsene sich über Jugendliche lustig machen und sie nicht ernst nehmen – hätte ich mich und meine Kunst nicht ernst genommen, wäre dieses Buch nie entstanden .

Was sollen Leser aus „Zwischen Winter und Himmel“ mitnehmen ?

Wenn ich nach dem Buch gefragt werde, geht es meistens um Andreas, seine Krankheit, seinen Tod. Das überrascht mich immer wieder, denn für mich ist es eine Geschichte um Identität, darüber anders zu sein, über Schuld und darüber einen Schmerz in sich zu tragen, der wie ein heller Stern tief in dir scheint und strahlt. „Zwischen Winter und Himmel“ hat keinen moralischen Anspruch. Ich wollte verschiedene Persönlichkeiten und das Groteske dieser scheinbaren Musterfamilie abbilden. Die Hassliebe der Brüder sollte im Mittelpunkt stehen. Außerdem finde ich es spannend, wie Menschen in Ausnahmezuständen reagieren. Trotzdem wollte ich ein Buch schreiben, bei dem eine ästhetische Sprache genauso wichtig ist, wie die Handlung. Als Jugendliche hätte ich mir mehr Bücher gewünscht, die Wert auf literarische Qualität legen und für die Sprache nicht nur ein Mittel zum Zweck ist. Für mich ist Sprache nicht nur ein Werkzeug um Inhalt zu transportieren, sie hat ihre eigene Legitimation. Das war mir bei meinem eigenen Buch sehr wichtig .

Wir freuen uns sehr darauf, dass Dein Roman ab Dezember 2014 endlich in Deutschland erhältlich sein wird. Willst Du Deinen deutschen Lesern noch etwas ausrichten ?

Ihr könnt den Roman als eine Geschichte über Krankheit und Tod lesen. Ihr könnt den Roman auch als Gesellschaftskritik lesen. Oder als Geschichte über einen Jungen, der nur durchs Gitarrespielen das Leben erträgt. So oder so hoffe ich, dass euch meine Geschichte berührt .

Das Interview führte Laura Sonnefeld im Oktober 2014

– Laura Sonnefeld –
© Oetinger Verlag

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