Im Gespräch mit Christian von Ditfurth

Ich bin eigentlich Beamter

Berlin Kreuzberg ist ein bunter Stadtteil: es gibt vieles Cafés und bunte Häuser, die von den Bewohnern zum Teil selber kreiert wurden. Auffällig sind die vielen Imbisse, die eine große Bandbreite anbieten, von einer Frittenbude über vegetarisches Essen, von typisch deutschem Essen über die italienische und asiatische Küche. Mitten in dieser Vielfalt lebt und arbeitet Christian von Ditfurth.
Bevor ich bei Herrn Ditfurth klingelte, lief ich durch die Straßen von Kreuzberg, um die Berliner Luft, Atmosphäre und ihren Flair kennenzulernen. Ganz besonders schaute ich mir die Straße an, in der Herr Ditfurth lebt, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Verabredet waren wir in seiner Wohnung und bei ausgezeichnetem Kuchen und Kaffee unterhielten wir uns über seinen neuen Kriminalroman „ Heldenfabrik “.

read MaryRead : Herr Ditfurth, wie sind Sie auf das Thema „Heldenfabrik“ gekommen?

Ditfurth : Mir kommen nicht die Ideen auf einem stillen Örtchen, sondern es sind zunächst Fetzen zu unterschiedlichen Zeiten. Ein Kommissar als Held ist für mich etwas Neues. Das hatte ich bislang in meinen Krimis nicht, sondern wenn nur am Rande, manchmal nur als Negativ. Da dachte ich mir, schreibe ich mal einen Kommissar-Krimi. Ich hatte ein paar Krimis mit Kommissaren testweise gelesen, die Tatort-Krimis gehen mir auf den Senkel, die sind vorhersehbar und langweilig, wahnsinnig reduziert auf dem Hintergrund ihrer Möglichkeiten. Das provoziert mich auch.
Nordkorea ist ein Thema, dass mich schon lange beschäftigt, ich habe viele nordkoreanische Freunde. Dieses Thema als Hintergrund…
Ich mag es nicht den Aktualitäten hinterher zu hetzen. In ein, zwei Jahren wird es einige Krimis über die NSU geben. Jeder Krimi bietet eine eigene Verschwörungstheorie an. Das ist mir zu langweilig.
Ein internationales Thema als Krimi hat mich gereizt. Ich wollte immer einen Krimi schreiben, der in einem gewissen Sinne groß ist. Groß in dem Sinn, dass er die Grenzen eines normalen Krimis überschreitet. In diesem Krimi geschehen viele Dinge, die in üblichen deutschen Krimis nicht vorkommen. Es explodieren Häuser, oder ganze Vorstädte werden umgenietet, es laufen Killer durchs Land…
In den amerikanischen schon, aber nicht in den deutschen.
In meinen Worten: Ich lass mal die Sau raus. Mein Wunsch war es, einen großen Krimi mit einem Kommissar zu schreiben und über das Thema Nordkorea. Nur wie bekomme ich das in einen Plot ?
Nach und nach bekam ich eine Idee von einem Plot, verschiedene Fetzen nahmen Konturen an und irgendwann baute sich das zu einer Idee eines Plots zusammen. Die einzelnen Versatzstücke sind nicht neu, sie sind alle irgendwann auf der Welt mal passiert, ohne wilde Verschwörungstheorien.

read MaryRead : Entsteht die Handlung während des Schreibens oder machen Sie vorher eine genaue Gliederung?

Ditfurth : Bei Sachbüchern mache ich eine sehr genaue, exakte Gliederung aber bei Romanen finde ich das einengend. Ich kenn mich ja. Dann kommen mir neue Ideen und dann platzt mir die Gliederung sowieso. Es gibt Autoren, die nach dieser Methode tolle Bücher schreiben. Nur für mich taugt das nichts, denn während des Schreibens bekomme ich neue und weitere Ideen. Spätestens nach drei Wochen stimmt nichts mehr an der Gliederung. Mein Kopf arbeitet immer weiter, immer weiter. Mir kommen immer neue Ideen und ich wäre bescheuert, wenn ich die besseren Ideen in meinem Sinne fallen lassen würde, vielleicht sind diese Ideen nicht wirklich besser, aber in meinen Augen erscheinen sie besser, nur weil ich mich an einer Gliederung halte. Ich muss auf meine Weise schauen, wie ich den Plot zusammenhalte. Die Geschichte entwickelt sich während des Schreibens. Ich schreibe ziemlich anarchisch.

read MaryRead : Sie können sich also während des Schreibens selber überraschen?

Ditfurth : Ja. Das Schreiben muss Spaß machen. Wenn ich heute schon wüsste, was ich morgen schreibe, dann hätte ich ein großes Problem mit meiner Motivation. Weil das Thema schon abgearbeitet wäre, das wäre stinklangweilig. Ich muss mich ja selber überraschen und mich selber herausfordern.
Ich bringe mich damit selber immer wieder in Situationen, wo ich mich frage, wie komme ich da wieder raus. Der Klassiker ist, der Held in einem anderen Buch sitzt in einem verlassenen alten Bauernhaus, gefesselt, bösen Feinden ausgeliefert und wie komme ich aus der Nummer wieder heraus, ohne das die Leute sagen: der spinnt. Solche Herausforderungen machen mir Spaß. In gewisser Hinsicht bin ich ein Teil der Geschichte, weil ich für die Auflösung sorgen muss.
Es gibt nicht nur die große Auflösung, sondern auch die Kleinen. Es gibt zwischendurch viele kleine Rätsel, die der Kommissar lösen muss, um am Ende das große Rätsel lösen zu können.

read MaryRead : Das war auch für mich der Reiz des Lesens. Sie überraschen einen immer wieder. Sie legen die Spur auf eine Ökobande, die dann aufgelöst wird. Sie nehmen den Leser mit auf die Fährtensuche, packen dabei einige Klischees aus und als Leser glaubt man daran.

Ditfurth : Ich liebe Klischees. Ich nehme die dann auch auf. Die Ökobande ist ein brutales Klischee. Jedes Klischee hat einen Wahrheitsgehalt, sonst gäbe es dieses Klischee nicht. Solche Klischees müssen enthüllt werden. Das ist ein Spiel mit dem Leser, der in sich selber das Klischee entdeckt, er wird damit gelockt und dann kommt: nein! die Ökoterroristen sind es nicht.

read MaryRead : Das machen Sie auch mit dem Kommissar und vor allem mit seinem Kollegen Yussuf. Bei Yussuf ist Ihnen das ausgezeichnet gelungen. Sie holen den Leser dort ab, wo er steht.

Ditfurth : Zunächst wirkt Yussuf unscheinbar, doch am Schluss stellt sich heraus, dass er ein ganz schlauer Hund ist. Am Ende ist er unentbehrlich. Yussuf entdeckt in sich selber das Klischee eines türkischen Migranten, passt sich diesen Vorstellungen an und beginnt, damit zu spielen.

read MaryRead : Sie haben für sich selber offen gelassen, wie viele Bände mit dem neuen Kommissar von Ihnen verfasst werden?

Ditfurth : Ja. Das ist davon abhängig, für wie lange die drei Hauptfiguren für mich interessant bleiben. Der Leser merkt, ob der Autor Spaß an seinen Figuren hat und wenn der Schriftsteller seine Figuren nicht mehr mag, sollte man besser eine Reihe beenden, vor allem, wenn das fabrikmäßige Schreiben beginnt, sollte man besser aufhören. Das gilt nur für mich. Bei erfolgreichen Reihen , wünscht sich der Leser immer weitere Bände, das erzeugt einen Druck bei dem Autor, auch finanzieller Art, das ist bei mir nicht anders. Ich glaube aber, dass es falsch ist, während des Schreibens daran zu denken, ob sich dieses Buch gut verkaufen lässt. Das entscheidende ist, dass Autoren Spaß an ihren Büchern haben, kein Gaga-Spaß, sondern eine motivierende Freude. Ich muss meine eigenen Figuren mögen, auch die, die negativ sind, also auch die Killer. Der Böse soll nicht entmenschlicht werden, er soll kein Dämon sein, wie in vielen anderen Krimis. Die Killer sind nicht in allem schlecht. Literarisch wäre es stinklangweilig, wenn man einen Killer als durchgängig böse darstellen würde.

read MaryRead : Ich muss dabei gerade an das Dritte Reich denken, da möchte man auch gerne die sogenannten „Monster“ erkennen können…

Ditfurth : … ich bin schon immer gegen die Dämonisierung von Hitler gewesen. Hitler und seine Chargen sind alle Menschen. Wir sind alle Hitler. Wir können überhaupt nicht das Dritte Reich verstehen, wenn wir nicht in die Köpfe der Massenverbrecher kriechen und das kann man nur als Mensch, um ihre Motive zu erklären. Die Betroffenheit ist wichtig, aber zur Aufklärung trägt sie wenig bis gar nichts bei. Es erklärt nicht, wie es dazu kam.

read MaryRead : Gibt es Tageszeiten, die Sie zum Schreiben bevorzugen?

Ditfurth : Ich bin eigentlich Beamter . Ich bin eigentlich Beamter. Ich stehe morgens um neun Uhr auf, lese ausgiebig die Zeitung, lungere dann an meinem Schreibtisch rum…

read MaryRead : Das erinnert mich an Thomas Mann

Ditfurth : Nee, das hat man mit Thomas Mann nichts zu tun, den mag ich auch nicht, den mag ich überhaupt nicht. Der benutzt eine tote Sprache, aber seinen Bruder mag ich, den Heinrich Mann . Heinrich ist ein großer Schriftsteller.
Mittags gehe ich dann Essen, danach gehe ich spazieren, dann gehe ich nach Hause und schreibe weiter.

– Christine Weber –
© read MaryRead

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