Navid Kermani las aus seinem Buch „Ungläubiges Staunen“

Heiliger versöhnlicher Zorn

Es war ein besonderer Abend, die Autorenlesung mit Navid Kermani im Apollo-Theater Siegen und zwar in jeglicher Hinsicht. Zum einen war der schreckliche und grausame Terroranschlag in Paris gerade mal ein paar Stunden her und der wie ein Schatten über einem war, doch Dank der interessanten Lesung konnte man den Anschlag für eine kurze Zeit vergessen, man konnte für einen Moment durchatmen.

Welche Erwartung durfte und sollte man an solch einem Abend mitbringen, welche Erwartungen durfte man gegenüber Navid Kermani haben? Viele haben noch seine Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Ohr, die so berührend, eindrücklich und nachdenklich war, die wie ein Weckruf verstanden werden konnte, die uns aus dem Dämmerschlaf in die Realität des Syrienkriegs holen sollte; weckte vielleicht die Erwartung, dass Navid Kermani Stellung zum Terroranschlag bezieht. Er nahm kurz Stellung und sagte, dass er genauso fassungslos und sprachlos wie die meisten von uns sei, dass es vor ein paar Stunden geschehen ist und er noch keine Worte dafür hat. Stellung zum Terroranschlag nahm auch der Bürgermeister der Stadt Siegen, Steffen Mues . Er bat das Publikum sich aus den roten Sesseln zu erheben, um gemeinsam eine Schweigeminute einzulegen. Steffen Mues hielt anschließend die Begrüßungsrede, in der er Bezug nahm zur Rede von Navid Kermani zum 65jährigen bestehen des Grundgesetzes im Bundestag vergangenen Jahres und er nahm Bezug zur eindrücklichen Rede in der Paulskirche am 18. Oktober diesen Jahres. Aber der Bürgermeister machte auch deutlich, dass er mit seiner Begrüßungsrede das Wasser von Navid Kermani nicht reichen kann, fand dabei dennoch die richtigen Worte.

Stefan Lochner: Die Muttergottes in der Rosenlaube

Anschließend trat Navid Kermani auf die Bühne, las aus seinem Buch „ Ungläubiges Staunen“ vor. Das Sachbuch beschreibt eine Reihe von bekannten und weniger bekannten religiös-christlichen Bilder, die in dem Buch abgezeichnet sind. Während Navid Kermani vorlas, wurde das jeweilige Bild an die Bühnenwand projiziert. Er begann mit dem Kapitel „Gott II“, in der die Maria als Muttergottes im Mittelpunkt steht. Das Bild „Die Muttergottes in der Rosenlaube“ von Stefan Lochner wird in dem Kapitel besprochen. Kritische Katholiken haben mit Maria als Muttergottes häufig ein Problem, dass zurückzuführen ist auf die Vergangenheit, in der die Maria in ihrer jungfräulichkeit gerade den Frauen als Vorbild auferlegt wurde, das immer die Einstellung der Sexualitätsfeindlichkeit der Frau mit einschloss; doch wenn man Navid Kermani zuhörte, seine Worte in dem Bild wiederfand – was schon fast einen meditativen Charakter hatte – konnte man einen anderen Zugang finden und plötzlich war man fasziniert über die Komposition des Malers, man sah die Schönheit der Maria, man erkannte ihre wichtige Rolle als Mutter im Allgemeinen und als Mutter Jesu im Besonderen. Navid Kermani las dazu vor: „Genauer als die meisten Theologen, die das Hauptgewicht auf das Kreuz und Auferstehung legen, besser selbst als die feministische Theologie, die mit Maria nur noch erstaunlich wenig anzufangen vermag und lieber die Sprache zurechtbiegt (bis es kracht!), haben im Christentum die katholische Volksfrömmigkeit und die östlichen Kirchen ein Gespür dafür, daß für die Menschwerdung Gottes das weibliche Prinzip konstitutiv ist.“ 1

Caravaggio: Die Opferung Isaaks

Magnus Reitschuster, Intendant des Apollo-Theater Siegens sprach Navid Kermani im anschließenden Gespräch darauf an, welche Bedeutung die Schönheit für ihn hat und das auch er sich für die Ästhetik begeistern kann. Im Verlauf des Gesprächs kamen sie von der Schönheit auf die Zerstörung des Klosters Mar Elian zu sprechen. Am 21. Mai diesen Jahres wurde zuerst der Prior P. Jacques Mourad und ein Diakon von Islamisten entführt, woraufhin die meisten Christen aus der syrischen Kleinstadt Karyatain flohen und wenige Monate später, am 5. und 6. August, zerstörte der IS das aus dem 5. Jahrhundert stammende Gebäude. 2 Navid Kermani erzählte, dass es sich um ein besonderes Kloster handle, denn ihre Türen und ihre Herzen waren auch für Muslime geöffnet, es pilgerten mehr Muslime als Christen zu diesem Kloster. Man kann davon ausgehen, solange die Mönche irgendeine Möglichkeit der Verteidigung sahen, dass sie alles, was in ihrer Macht stand, getan haben, um das Kloster zu verteidigen. Ganz anders wird das Verhalten von Abraham beschrieben, als er auf Geheiß Gottes seinen Sohn Isaak opfern sollte. Im Kapitel „Opfer“ geht Navid Kermani eindringlich darauf ein. „Die Opferung Isaaks“ von Caravaggio zeigt einen alten gefühlsarmen Menschen. Noch während Navid Kermani aus dem Kapitel vorlas, erwartete man schon fast, dass jeden Augenblick das Bild an der Bühnenwand von Rissen durchzogen wird, was natürlich nicht geschah, aber das Bild über Vater Abraham bekam Risse. Wenn man als Kind die guten Seiten von Abraham kennengelernt hat und vielleicht sich noch an das Lied „Vater Abraham“ erinnerte, wurde mit einer Seite konfrontiert, die dem widerspricht. Navid Kermani las: „Sein Abraham ist ein Verwalter, nichts anderes, ein intellektuell immer schon beschränkter, im Alter erst recht verstockter Hausmeister Gottes, wohlgenährt der Leib, kräftig die Farbe seines Gesichts. An der Ordnung, die im Alltag ihren Sinn haben mag, hält er auch dann Punkt für Punkt fest, als sie durch eine Ausnahmesituation absurd, ja ganz offenkundig unmenschlich geworden ist.“ 3

Giotto di Bondone: Die Begegnung Joachims und Anna an der Goldenen Pforte

Die Bibel kennt aber nicht nur das Opfern sondern auch die Zärtlichkeit, die sexuelle Lust. Häufig hat man den Eindruck, dass die Bibel rundweg die sexuelle Lust ablehnt, doch man wird eines Besseren belehrt. Im Kapitel „Lust II“ beschreibt der Schriftsteller das Bild „Die Begegnung Joachims und Anna an der Goldenen Pforte“ von Giotto di Bondone , die sich in aller Öffentlichkeit küssen. Seine Eindrücke von dem Bild vergleicht er mit der Zeit, als er als Jugendlicher die Siegener mit ihrem Pietismus in den 1980er Jahre erlebt hat. Jeder Siegener, der nicht zu den Pietisten gehört, weiß, dass sie strenggläubig, bibelfest und sexualitätsfern sind (und einen Missionsdrang haben). Für viele Siegener sind die Worte von Navid Kermani Balsam für die Seele, und es gelingt ihm, die Siegener Pietisten von einer anderen Warte aus zu betrachten, denn „Was die Religion und nicht einmal Siegen vermochten, nämlich Begierde und Wollust, Verführung und Nacktheit mir zu verleiden, gelang erst der alltäglich gewordenen Pornographie. Daß alle glauben, sich alles allerorten herausnehmen zu können, ja, zu müssen!, erschien mir so entsetzlich, daß mir die Bundfalten und gesteiften Blusen nach und nach lieb wurden. Immerhin Bundfalten und Blusen! sagte ich mir…“ 4

El Greco: Der Abschied Christi von seiner Mutter

Als Zugabe las der gebürtige Siegener Schriftsteller aus dem Kapitel „Liebe II“ vor. Es handelt von „Der Abschied Christi von seiner Mutter“, gemalt von El Greco . Auch hier steht die Zärtlichkeit im Mittelpunk, wider Erwarten.

Zwischen den einzelnen vorgelesenen Kapiteln sprachen Magnus Reitschuster und Navid Kermani über Religiöses und Politisches. Die Abwechslung zwischen Lesung und Gespräch machte den Abend nicht nur interessanter, sondern man zusätzliche hilfreiche Informationen über die Weltanschauung der beiden Gesprächspartner.

Navid Kermani hat die Auswahl der Kapitel mit Bedacht gewählt, er begann mit der Geburt Jesu und seiner Mutter und endete mit der Verabschiedung Jesu von seiner Mutter, kurz bevor seine Passionsgeschichte beginnt. Geburt und Tod stehen sich diametral gegenüber, sind unversöhnlich, doch Navid Kermani entließ die Zuhörer versöhnlich, mit einem anderen Blick auf Siegen und auf das Christentum insbesondere dem Katholizismus.

Wenn die Worte von Magnus Reitschuster, dem Intendanten des Apollo-Theaters, das Navid Kermani das Zeug hat, ein politischer Mahner ähnlich wie Günter Grass zu werden, vielleicht jetzt schon zutreffen, dann unterscheidet sich Navid Kermani von Günter Grass in einer Hinsicht ganz entscheidend: ein heiliger versöhnlicher Zorn. Das bedeutet: sich stark machen für eine politische Ursachenanalyse wie im Fall des Syrienkriegs, sich nicht damit abzufinden, dass die Flüchtlinge in Deutschland gut versorgt werden, sondern den Wirtschaftspartner Saudi-Arabien genauestens unter die Lupe zu nehmen. Im Staat Saudi-Arabien ist das Aufflammen des Dschihad entstanden und von dort wurde und wird es in die Welt getragen mit all den schrecklichen Kriegen und Terroranschlägen, wie wir es am Freitag Abend in Paris wieder mal erleben mussten. Die Analyse sollte aber auch, wie Navid Kermani deutlich sagte, die Bereitschaft beinhalten, Konsequenzen daraus zu ziehen, auch dann, wenn es weh tut wie höhere Benzinpreise. Aber da, wo man die Schönheit, dass die Versöhnung mit einschließt, erkennt, sollte man ihr Beachtung schenken.

Die Mahnungen von Navid Kermani kommen nicht polternd und als absolut daher wie bei Günter Grass, sondern in ergreifenden Worten ohne – im negativen Sinne – manipulierend zu sein. Der Terroranschlag in Frankreich wird so nicht weniger grausam aber die poetischen Worte von Navid Kermani kann einem die Tür öffnen, mutig einen neuen Weg einzuschlagen, dass das Versöhnliche nicht aus dem Blick verliert.

– Claudia Bröcher –
© read MaryRead

Übersicht Pinnwand


Navid Kermani: Ungläubiges Staunen
Sachbuch
303 Seiten
gebunden, mit Schutzumschlag
1. Auflage: 21.08.2015
Verlag: C.H. Beck
ISBN 978-3-406-68337-4
Preis: 24,95 € (D), 25,70 € (A)



1 Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, C.H. Beck-Verlag 2015 (5), S. 94
2 Vgl. Radio Vatikan:Zerstörung von Mar Elian: Weltweite Reaktionen, 24.08.2015: http://de.radiovaticana.va/news/2015/08/24/zerstörung_von_mar_elian_weltweite_reaktionen/1167073
3 Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, C.H. Beck-Verlag 2015 (5), S. 202
4 Ebenda, S. 259

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